Gegen alle Widerstände ein gemeinsames Gedenken

Rund 2.400 Teilnehmer/innen bei alternativer Gedenkzeremonie
Rund 2.400 Teilnehmer/innen bei alternativer Gedenkzeremonie. Foto: Erez Krispin, Combatants for Peace

Gestern Abend zogen tausende von Menschen zum Kikar Rabin, dem zentralen Platz von Tel Aviv, um an einer der offiziellen Gedenkveranstaltungen für gefallene Soldat/innen und Opfer von Krieg und Terrorismus teilzunehmen. Geschäfte hatten bereits um sieben Uhr geschlossen, um acht Uhr ertönten landesweit die Sirenen, Menschen stiegen aus ihren Autos und Fußgänger/innen blieben am Straßenrand stehen, in Trauer um die Toten.

Auch ich stieg aus meinem Wagen, auf dem Weg zur alternativen Zeremonie, organisiert von Combatants for Peace, einer NGO von Israelis und Palästinenser/innen, die ihre Waffen niedergelegt haben und auf beiden Seiten des Konflikts für einen Ausstieg aus dem Kreislauf der Gewalt eintreten.

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Es war das achte Mal, dass diese israelisch-palästinensische Zeremonie stattfand. Von Jahr zu Jahr steigt das Interesse. Gestern Abend fanden erstmals über 2.400 Menschen in die Halle auf dem Tel Aviver Messegelände. Videobotschaften und kurze Redebeiträge auf Hebräisch und Arabisch wurden vorgetragen, begleitet von musikalischen Einlagen aus Israel und Palästina.

Sie ist umstritten. Vor der Halle demonstrierte ein kleine Gruppe, eingewickelt in die israelische Flagge, und rief “Verräter”, “Nazis”. Im Vorfeld hatte das israelische Verteidigungsministerium zum ersten Mal die Einreise für 109 palästinensische Teilnehmer/innen verweigert. Begründung, “Der Antrag wurde auf höchster Ebene abgelehnt. (…) Die Armee ist aus Prinzip gegen diese Zeremonie.” Erst die Intervention der Menschenrechtsanwältin Gaby Laski, der Knesset-Abgeordneten Zehava Galon (Meretz), Merav Michaeli (Arbeitspartei) und Dov Khenin (Hadash), sowie die Unterstützung aus dem Büro des israelischen Präisdenten Shimon Peres, ermöglichte die Teilnahme von 44 Palästinenser/innen.

Auch auf palästinensischer Seite erntet die Veranstaltung Kritik. Angesichts der sich vertiefenden Besatzung, in Zeiten von Anti-Normalisierung, und im Licht der nicht ignorierbaren Asymmetrie in diesem Konflikt, ist es für viele Palästinenser/innen unvorstellbar, an einer gemeinsamen Gedenkzeremonie in Tel Aviv teilzunehmen.

Es wurden keine Helden gefeiert, sondern Opfer betrauert. Väter und Mütter, Brüder und Schwestern, Ehemänner und -frauen sprachen von ihren Verlusten und riefen dazu auf, den Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen. Der Abend war ein Plädoyer, sich als Menschen anzuerkennen und eine gemeinsame Lösung zu finden, damit beide Völker in diesem Raum zwischen Mittelmeer und Jordan in Frieden zusammenleben können.

Was als Klischee daherkommen mag, wurde ein bewegender Abend. Er hat gezeigt, dass es möglich ist, würdevoll an die Opfer von Gewalt, Krieg und Terrorismus zu erinnern, ohne diejenigen auf der jeweils anderen Seite zu ignorieren. Gegen alle Widerstände.


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