Terror, Tsunami, Titanic – Oder nichts dergleichen?

Die Mauer bei auf der grünen Linie bei Beit Awa. Foto: Marc Berthold
Die Mauer auf der grünen Linie bei Beit Awa. Foto: CC-BY-SA Marc Berthold

Israel ist in Aufruhr seit Haaretz am vergangenen Dienstag die neuen Richtlinien für EU- Förderprogramme mit Israel vorab veröffentlichte, die heute offiziell bekannt gegeben wurden und ab 1. Januar 2014 in Kraft treten werden. Einige Fehler in der ursprünglichen Berichterstattung, die von anderen israelischen Medien zunächst übernommen wurden (Es handelt sich um Förderregelungen auf EU-Ebene und nicht, wie berichtet, um eine EU-Richtlinie, die in allen Mitgliedstaaten umgesetzt werden muss), haben den Sturm der Entrüstung noch angefacht.

Was ist passiert? Der Außenminister-Rat der Europäischen Union hat im Dezember 2012 beschlossen, den Rahmen der Zusammenarbeit mit Israel den EU-Positionen zur Lösung des Nahostkonflikts anzupassen. Was viele Jahre stillschweigend gehandhabt und von israelischen Regierungen akzeptiert wurde, ist nun formale Maßgabe: Die EU will weiterhin ihre Zusammenarbeit mit Israel ausbauen, dabei jedoch nicht das israelische Siedlungsprojekt jenseits der grünen Linie von 1967 unterstützen. Die EU hält die Siedlungen im Westjordanland und Ost-Jerusalem für völkerrechtswidrig. Neu ist, dass in Zukunft Abkommen zwischen Israel und der EU einen Passus enthalten müssen, in dem Israel anerkennt, dass die Siedlungen nicht Teil des israelischen Staatsgebiets sind. Dies ist in Israel höchst umstritten und für die aktuelle Regierung kaum zu ertragen, in der internationalen Staatengemeinschaft jedoch weitgehend Konsens.

Was ist nicht passiert? Diese Richtlinien gelten ausdrücklich nur für EU-Förderprogramme, nicht für die Mitgliedstaaten. Sie beziehen sich nicht auf den Warenaustausch (hier wird jedoch eine spezielle Kennzeichnung für Siedlungsprodukte beraten), sondern auf Bereiche, wie Wissenschaft und Forschung, oder Kultur und Sport. Nur Institutionen, wie Kommunen, öffentliche Einrichtungen, öffentliche und private Unternehmen sowie Nichtregierungsorganisationen, sind davon betroffen, jedoch keine Einzelpersonen. Auch nationale Ministerien und Behörden sind von der Regelung ausgenommen. Nicht betroffen sind zudem israelische NGOs, die sich gemäß der Haltung der Europäischen Union für eine Zwei-Staaten-Lösung oder im Sinne humanitären Rechts einsetzen und Teile ihrer Aktivitäten im Westjordanland ausführen. Dazu gehören etwa Peace Now, B’Tselem oder Combatants for Peace.

Die israelische Regierung reagierte scharf. Premierminister Netanjahu sagte, Israel lasse sich von der EU nicht seine Staatsgrenzen diktieren. Wirtschaftsminister Naftali Bennett sprach von einem „ökonomischen Terrorangriff“ und der Wohnungsbauminister Uri Ariel verglich die Richtlinien mit der Verfolgung von Juden im 3. Reich. Er kündigte an, Israel werde nun erst recht weiterbauen. Der stellvertretende Außenminister Zeev Elkin beklagte, der Zeitpunkt der Veröffentlichung unterminiere die Bemühungen des US-Außenministers John Kerry, die israelisch-palästinensischen Verhandlungen wieder in Gang zu bringen. Der Haaretz-Kolumnist Avi Shavit vergleicht Israel derweil mit der Titanic, Shimon Shiffer fordert seine Regierung in der Tageszeitung Yedioth Achronot auf, den diplomatischen Tsunami zu stoppen.

Warum all der Aufruhr? Die Europäische Union geht davon aus, dass auch bislang nur ein Prozent der Fördermittel Siedlungen zugutekamen. Die Handhabe ist nicht neu. An der Realität der Vergabe wird sich nicht viel ändern.

Dennoch ist für Israel damit nichts mehr wie es war. Sowohl vor der Welt als auch gegenüber der eigenen Bevölkerung wurde der Vorhang vor dem stillen Verständnis beider Seiten gelüftet und die Konsequenzen der politischen Divergenzen über den Status der Siedlungen sind nun offen sichtbar. Die israelische Regierung behandelt die Siedlungen de facto als Staatsgebiet, das Westjordanland gilt weniger als besetztes sondern eher als umstrittenes Gebiet. Ein Großteil der Bevölkerung ist entweder indifferent oder unterstützt diese Haltung. Nun fordert die Europäische Union von der israelischen Regierung, die internationale Position schriftlich zu bestätigen. Für die Teile der Koalition im Likud und in „Jüdisches Haus“, die gegen eine Zwei-Staaten-Lösung sind und eine Annektierung weiter Teile des Westjordanlandes wollen, ein Ding der Unmöglichkeit. Auch Premierminister Netanjahu, dessen Haltung gegenüber der Zwei-Staaten-Lösung bisweilen infrage gestellt wird, steht damit vor einem Dilemma.

In die Bredouille kommt Netanjahu auch auf internationaler Ebene. Als zentrales Hauptargument gegen eine Verhandlungslösung auf Basis von 1967 führt er an, dass damit die Sicherheit Israels in Zukunft nicht mehr zu gewährleisten sei. Eine Sorge, die von Israels Partnern in Europa und den USA ernstgenommen und berücksichtigt wird. Zugleich jedoch widerspricht Benjamin Netanjahu vehement der international verbreiteten Ansicht, die Existenz und der Ausbau von Siedlungen seien ein zentrales Hindernis auf dem Weg zu einem dauerhaften Abkommen. Hier konnten ihm weder die EU noch die USA folgen, und Netanjahu ist es nicht gelungen, die Logik für seine Schlussfolgerung zu vermitteln. Zwischen dem Bekenntnis zu einer Zwei-Staaten-Lösung, der berechtigten Sorge um Israels Sicherheit und dem Fortsetzen des Siedlungsbaus, der keinerlei Sicherheitsrelevanz hat, klafft eine wachsende Glaubwürdigkeitslücke, die zumindest von der Europäischen Union seit Dezember 2012 nicht mehr hingenommen wird. Mit den neuen Förderrichtlinien hat die EU dies nun klar ausgesprochen und handelt entsprechend. Es wird auch vermutet, dass die USA zwar selbst keine vergleichbaren Schritte ergreifen wird, die „Bad Cop“-Rolle der EU jedoch mitträgt, während sich John Kerry als „Good Cop“ weiterhin um Verhandlungen bemüht.

Wie geht es nun weiter? – Der aktuellen Rhetorik nach zu urteilen, könnte sich die israelische Regierung dazu entscheiden, Vergeltungsmaßnahmen zu ergreifen. Sie könnte den Siedlungsbau weiter forcieren, den sogenannten Levi-Bericht zur Legalisierung von Siedlungen verabschieden, die Verhandlungen über zukünftige Abkommen, wie „Horizon 2020“, verweigern, EU-Projekte mit Palästinensern unterbinden und genau den NGOs, die von den EU-Förderrichtlinien ausgenommen sind, den Zugang zu EU-Geldern erschweren. Entsprechende Vorhaben gab es bereits im Jahr 2011 und wurden erst kürzlich von der Abgeordneten Ayelet Shaked (Jüdisches Haus) erneut vorgeschlagen.

Oder aber Israel und die PLO folgen John Kerry nun an den Verhandlungstisch und finden den Weg zu einer Lösung. Denn letztlich sind diese Förderrichtlinien korrigierbar. Darauf hat auch Catherine Ashton hingewiesen. Finden Israelis und Palästinenser zu einer Einigung über die Grenzen und damit über den Status zumindest einiger Siedlungen, lassen sich die Richtlinien entsprechend ergänzen. Präsident Mahmut Abbas hat im Zuge der Wiederbelebung der „Arabischen Friedensinitiative“ nochmal bekräftigt, einen gewissen Gebietsaustausch anzuerkennen und damit einige Siedlungen an Israel zu übertragen.

Zugleich sollte die EU, gemeinsam mit den Vereinigten Staaten, ernsthafte Angebote entwickeln, welche den berechtigten Sicherheitsinteressen Israels entgegenkommen. Auch hier können die Europäer eine wichtige Rolle spielen, und damit auch dem Eindruck entgegenwirken, die Maßnahmen gegen die Siedlungen richteten sich letztlich gegen den Staat Israel als solches.


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