Perücken gegen das Patriarchat

Anissa Krana- libanesische Dragqueen und LGBT Aktivistin. Foto: privat
Anissa Krana- libanesische Dragqueen und LGBT Aktivistin. Foto: privat

Ein Gastbeitrag von Inga Hofmann

Einer der populärsten libanesischen TV Stars ist Bassem Feghali, der im Fernsehen arabische Stars wie Fairuz und Nancy Ajram, aber auch internationale Persönlichkeiten wie Britney Spears und Marilyn Monroe imitiert. Obwohl er sich von dem traditionellen männlichen Rollenbild durch Perücken, feminine Kleidung und Makeup unterscheidet, ist er in sozialen Netzwerken wie Facebook außerordentlich populär und der Fernsehsender LBC widmete ihm während des Ramadan sogar eine eigene TV Show „Alf Wayle Bi Layle“. Der Der Titel bedeutet so viel wie „1000  Dummheiten in einer Nacht“ und ist ein Wortspiel mit „Alf Layle ua Layle“ , Tausendundeine Nacht.

In Anbetracht dessen, dass das Publikum sehr positiv auf Feghali reagiert, könnte man annehmen, dass auch der LGBT Community im Libanon mit Wohlwollen begegnet würde und daraus eine zunehmende Toleranz bezüglich Tabus wie Sexualität und Gender schlussfolgern. Tatsächlich outete sich Feghali aber bis heute gegenüber seiner (größtenteils heterosexuellen) Fan-Gemeinschaft nicht, und in den libanesischen Medien wird er noch immer lediglich als „Entertainer“ bezeichnet.

Feghali auf seinen Unterhaltungswert zu reduzieren, ignoriert jedoch die Bedeutung der Drag- Queen Szene, denn viele Drag- Queens im Libanon erheben politische Ansprüche und wehren sich gegen das patriarchale System.

Trotz der rechtlichen Diskriminierung und der Intoleranz gegenüber Diversität hinsichtlich Sexualität und Gender hat sich in Beirut innerhalb der letzten Monate eine Szene etabliert, welche heteronormative Strukturen und traditionelle Rollenbilder grundlegend in Frage stellt. Einige Inhaber*innen stellen dafür ihre Clubs oder Bars zur Verfügung und bieten so Menschen die Möglichkeit, die traditionelle Geschlechterrolle zu verlassen und als Drag Queen in eine andere Rolle zu schlüpfen. Dabei geht es nicht um Kostümierung oder Unterhaltung, sondern darum, mit gesellschaftlichen Tabus zu brechen. So werden beispielsweise Sex und Freizügigkeit durch unkonventionelle Kleidung thematisiert und auf diese Weise enttabuisiert.

Da viele libanesische Familien immer noch versuchen, die Binarität von Mann und Frau aufrechtzuerhalten, können persönliche Identitätskonflikte häufig erst während der Drag- Queen Auftritte aufgelöst werden: Während gesellschaftlicher und familiärer Druck das Ausleben der eigenen Identität unmöglich machen, bieten eben jene Abende die Plattform für Individualität und Diversität.

Nach jedem Auftritt hat die jeweilige Drag Queen außerdem die Möglichkeit, sich kurz dazu zu äußern, und genau in diesen Momenten wird deutlich, dass es eben um viel mehr als das Imitieren von Berühmtheiten geht. Häufig wird die Bühne nämlich nicht für unterhaltsame Witze, sondern für ernsthafte Themen wie Suizidprävention genutzt. Ganz nach dem Motto: Du bist nicht allein, wir haben das auch durchgemacht. Das mag abgedroschen klingen, sollte aber angesichts der sonstigen Tabuisierung von Sexualität und Gender, welche häufig zu Depressionen und Selbstmordgedanken führen, nicht unterschätzt werden. Dadurch, dass es einem Outing gleichkäme, eben jene psychischen Probleme anzusprechen, reden die meisten Betroffenen mit ihren Familien nicht darüber und suchen sich auch keine professionelle Hilfe. In diesem Licht erscheinen die „Drag Queen Shows“ umso politischer und gesellschaftlich relevanter.

Und nicht unbegründet nennen Drag Queens, welche ihre Erfahrungen an jüngere weitergeben, diese „Drag Children“- sozusagen eine alternative Familienstruktur, die Identitätskonflikte auflöst und den alltäglichen familiären Druck zumindest für einen Abend in den Hintergrund treten lässt!


Inga Hofmann ist seit August 2018 Praktikantin im Büro der Heinrich Böll Stiftung Middle East in Beirut. Wenn sie nicht gerade die Wanderlust überkommt, studiert sie Politikwissenschaft in Berlin.

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