Die Causa Fattoush – Politiker ohne Biss

Ein Gastbeitrag von Carolin Dylla*

Fattoush (C) Rafel Miro
Fattoush (C) Rafel Miro

Fattoush ist eine libanesische Köstlichkeit aus grünem Salat, Tomate, Gurke und Radieschen, garniert mit frittierten Fladenbrot-Stücken und Granatapfel-Kernen, verfeinert mit einem Dressing aus Grantapfel-Essig und Sumach. Seit Ende Oktober allerdings hat man bei der Nennung von Fattoush einen schalen Beigeschmack im Mund. Das liegt an einer Art Spezial-Gewürz, die das Rezept abrundet: das Aroma des politischen Skandals, der sich um einen politischen Namensvetter des Salates rankt.

Nicolas Fattoush, Anwalt, Staatsminister und Abgeordneter des Wahlkreises Zahle, hatte am 21. Oktober Schlagzeilen gemacht, weil er eine Verwaltungsangestellte des Baabda Judicial Palace geschlagen hatte. Nicht ohne triftigen Grund, versteht sich – die Dame hatte sich tatsächlich geweigert, der Bearbeitung seines Anliegens Vorrang einzuräumen und ihn zu bitten, einige Minuten vor der Tür zu ihrem Büro zu warten.

Gegenüber der Tageszeitung The Daily Star haben Augenzeugen berichtet, dass Fattoush zuerst sehr laut geworden sei, seine politische Position als Mitglied der Regierung und Parlamentsabgeordneter betont habe, und dann handgreiflich geworden sei. Der Politiker selbst streitet alle Vorwürfe ab und behauptet, die Frau nie geschlagen zu haben. Er untermauert diese Aussage mit dem Hinweis, dass die Menschen seiner Heimatstadt Zahle berühmt seien für ihre Würde, ihre Männlichkeit und ihr Heldentum. Er habe es einfach sehr eilig gehabt. Als Parlamentsabgeordneter habe er eben keine Zeit zu verlieren. Bei genauerem Hinsehen allerdings ist dieses Argument gerade mal so hieb- und stichfest wie ein welkes Salatblatt, denn das libanesische Parlament tagt weder besonders häufig noch besonders lang.

Eine besonders pikante Note bekommt der Skandal-Salat außerdem dadurch, dass der Gesetzesentwurf, auf dessen Grundlage das Mandat des libanesischen Parlaments am 05. November um weitere zwei Jahre und sieben Monte verlängert wurde, maßgeblich von Nicolas Fattoush erarbeitet wurde. Die offizielle Begründung für diesen demokratisch mehr als fragwürdigen Schritt sind die regionale Sicherheitslage und die schleppende Reform des Wahlgesetzes. Davon abgesehen will Nicolas Fattoush wahrscheinlich einfach bloß weitere zweieinhalb Jahre seines Lebens sich – und natürlich sein würdevolles Heldentum – in den Dienst des libanesischen Volkes stellen.

Viele aber wollen sich von ihren Abgeordneten im Allgemeinen – und von Abgeordneten wie Fattoush im Speziellen – nicht repräsentiert wissen. Und so wird die Causa Fattoush zum Inbegriff der Kampagne la al-tamdeed (Nein zur Verlängerung). Organisationen wie Stop Cultural Terrorism in Lebanon, eine Satire-Seite, die sich für Meinungsfreiheit einsetzt und vornehmlich auf facebook ebenso scharfe wie pointierte Angriffe auf die politische Elite des Landes lanciert, postete beispielweise Bilder des Salates, unter denen zu lesen ist:

„Niemand repräsentiert mich!“

„So fühlen wir uns. Das sind eben wir.“

Die Kampagne ist dabei allerdings nicht nur ein mit Granatapfel-Essig gewürzter Angriff auf eine politische Klasse, die von vielen als nepotistisch, tatenlos und korrupt wahrgenommen wird, sondern auch Selbstkritik angesichts der wachsenden politischen Apathie der Bevölkerung. Diese wie auch das Gefühl der Machtlosigkeit sind aber mehr als verständlich, wenn man den juristischen Ausgang der Episode bedenkt: nachdem die Dame zuerst Anzeige gegen den Politiker erstattet hatte, zog sie diese noch am gleichen Tag wieder zurück. Zwar hat die Anwaltskammer von Beirut Nicolas Fattoush als Reaktion auf die Affäre aus ihren Reihen ausgeschlossen – ernsthafte politische oder gar juristische Konsequenzen muss er wohl aber nicht befürchten. Und hat die Kammer darüber hinaus seinerseits wegen Verleumdung und Diffamierung verklagt.

Anders als ihre Küche – auf die sie sehr stolz sind – finden die LibanesInnen ihre Politiker häufig einfach nur geschmacklos, und die Lust auf bürgerlich-politisches Engagement ist ihnen zumindest auf absehbare Zeit vergangen. Aber halt: abwählen könnten sie Nicholas Fattoush ja ohnehin erst wieder in zwei Jahren und sieben Monaten.

Da haben wir den Salat.

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* Carolin Dylla hat im September 2014 ihren Master im Studiengang Internationale und Europäische Governance an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und dem IEP de Lille abgeschlossen. Während ihres fünfmonatigen Praktikums im Büro der hbs in Beirut organisiert sie das Projekt More Than A Talkshop.


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