Fußballfieber im Gazastreifen

Am Stadion in Beit Lahia am Rande von Gaza-Stadt herrscht großes Gedränge. Vor dem Anpfiff  sind drinnen die Ränge schon gut gefüllt. Auch auf den Stadionmauern rund um das Stadion sitzen zahllose Fans. In wenigen Minuten beginnt das Erstligaspiel Khadamat Shati gegen Shabab Jabaliyah. Auch der Fußball findet in Palästina unter Ausnahmebedingungen statt. Eigentlich sollte eine palästinensische Liga alle Teams aus dem Gazastreifen, aus Ost-Jerusalem und der Wrestbank umfassen. Aber der Gazastreifen steht unter ägyptischer und israelischer Blockade, die Spieler können nicht ein- und ausreisen. In der FIFA ist Palästina wie ein anerkannter, unabhängiger Staat akzeptiert, aber die Realität sieht anders aus. Der berühmteste Fußballer aus Gaza, Mahmoud Sarsak, wurde 2012 nicht durch spektakuläre Torszenen berühmt, sondern durch einen fast 100 Tage andauernden Hungerstreik. Der ehemalige Nationalspieler war jahrelang ohne rechtliche Grundlage („Administrativhaft„) in israelischer Haft.

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Stadion in Beit Lahia (image: courtesy of René Wildangel)

Im Gazastreifen, wo viele ums tägliche Überleben kämpfen, die Wirtschaft schwächelt und Arbeitslosigkeit grassiert, wird eine Liga ausgespielt, in der ausschließlich Teams aus Gaza teilnehmen. Mit Jabaliya und Shati stehen sich hier zwei Teams aus Flüchtlingslagern gegenüber, zwei Drittel der 1, 7 Millionen Bewohner des Gazastreifen sind Flüchtlinge aus den Kriegen von 1948 und 1967. Die Mehrheit ist jung und fußballverrückt, aber selbst die umgerechnet 50 Cent Eintrittspreis kann sich hier nicht jeder leisten. Dagegen erstaunt der gute Zustand des Spielfeldes im Stadtteil Beit Lahia. Ein reicher Palästinenser hat hier, so wird mir erklärt, 100.000 Dollar für den Rasenplatz gespendet. Der Platz ist klein, aber gehört zu den besten hier, seit das Nationalstadion von Gaza im letzten Krieg von der israelischen Armee bombardiert wurde und tiefe Krater die Nutzung unmöglich machen. Anzeigetafeln oder Flutlicht gibt es nicht, dazu fehlt derzeit das Geld. Außerdem gibt es derzeit im gesamten Gazastreifen nur wenige Stunden am Tag Elektrizität.

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Tor für Khadamat Shati (image: courtesy of René Wildangel)

Als das Spiel beginnt, gehen die Zuschauer begeistert mit. Der Fußball ist eine willkommene Abwechslung, Trommeln, La Ola und Fanplakate vermitteln Normalität. Das Niveau des Spiels kann sich sehen lassen, die Kicker von Khadamat Shati machen Tempo und gehen schon nach kurzer Zeit in Führung. Mit einem spektakulären Treffer in der ersten Hälfte gleicht Jabaliya aus, dabei bleibt es bis zum Schluss. In der Halbzeitpause wird auf dem Spielfeld gebetet, auch einige Spieler nehmen teil. Die Ligaspiele in Gaza werden immer so getimt, dass die Pausen mit den islamischen Gebetszeiten übereinstimmen. Noch wichtiger als Fragen der politischen Zugehörigkeit ist für viele Palästinenser die Identifikation mit den spanischen Top-Mannschaften: Barca oder Real? Viele Besucher haben entsprechende Trikots an. Und als der deutsche Gast im Stadion erkannt wird, werden spontan Schlachtgesänge für die deutsche Nationalmannschaft angestimmt. Dann heißt die Frage: Bayern oder Dortmund? Ein Fan in der Menge beantwortet die Frage eindeutiger als ich, er hat ein Reus-Trikot an.

(Eine Kurzversion dieses Textes erscheint in der kommenden Ausgabe des Magazins „11 Freunde“ in der Rubrik „Auswärtsspiel“).

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Dortmundfan in Gaza (image: courtesy of René Wildangel)

 


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