Weit, weit hinter Haifa

Qusair, in der Nacht vom 19. auf den 20. Mai
Qusair, in der Nacht vom 19. auf den 20. Mai

Seit zwei Jahren widersetzen sich der Großteil der libansischen Bevölkerung und der politischen Elite dem, sich in den syrischen Konflikt hineinziehenzulassen. Zwar haben sich einzelne Gruppen wortgewaltig positioniert, aber nicht ohne dafür zu sorgen, dass die Wellen öffentlichen Unmuts mit dieser oder jener Politik nicht zu hoch schlugen. Im Juni 2012 vereinbarten die entgegengesetzten politischen Lager des 8. und 14. März in der „Erklärung von Baabda“, dass sie alles daran setzen würden, den Libanon aus regionalen und internationalen Krisen herauszuhalten. Doch je aussichtsloser die Situation in Syrien wird, desto mehr bröckelt – zumindest von politischer Seite – dieser Konsens.

Vorwiegend sunnitische Netzwerke versorgen im Norden syrische Rebellen; die Hisbollah unterstützt immer unverhohlener die syrische Regierung. Dabei ist klar, dass letzteres die schiitische Organisation viele Sympathien gekostet hat: man schätzt sie wegen ihrer Haltung und Stärke gegenüber Israel, während die Niederschlagung eines Volksaufstandes im Nachbarland ähnlich unpopulär ist, wie Hisbollahs bewaffneter Aufstand gegen die eigene,libanesische Regierung 2008.

Zunächst agierte die Hisbollah daher eher verborgen. Noch im Sommer 2012 hatte sie erklärt, „einige Dörfer mit großer libanesisch-schiitischen Bevölkerungsanteilen“ auf der syrischen Seite der gemeinsamen Grenze würden „sich lediglich selbst verteidigen“, und hierbei nicht auf Weisung der Hisbollah handeln. Mit vereinzelten Nachrichten über getötete Hisbollah-Kämpfer in Syrien wurde langsam die direkte Beteiligung der Partei salonfähig gemacht.

Das war der syrischen Führung jedoch nicht genug. Als kleinen Seitenhieb gegen die Schiiten, von denen viele während des libanesischen Bürgerkriegs nach Afrika ausgewandert waren, stichelte Bashar al-Assad am 21. März 2013: „Ich verstehe nicht, was genau mit dieser Politik (der Distanziertheit) gemeint ist. Ist die Idee, dass der Libanon sich zusammenraffen und nach Afrika zurückziehen wird, dort das Ende der syrischen Krise abwarten und danach an seinen angestammten Ort zurückkehren wird?“

In einer Rede am 30. April 2013 erklärte der Generalsekretär, Hassan Nasrallah offiziell, dass die Hisbollah ín Qusair eingreifen werde. Die Ortschaft, im Umland von Homs und in direkter Grenznähe zum Libanon gelegen, ist seit gestern einer militärischen Großoffensive der syrischen Armee unterworfen. Schon vor 14 Tagen war die Stadt weitgehend abgeriegelt worden; sinnigerweise wurden die Bewohner erst danach mittels Flugblättern aufgefordert, sie zu verlassen. „Wenn man genau weiß, dass die Stadt abgeriegelt ist, dann ist es eine furchterregende Perspektive zu gehen,“ sagt ein syrischer Aktivist. In der Tat: an jedem Checkpoint kann der Tod lauern, und über ein Jahr lang haben die Bewohner von Qusair die Erfahrung gemacht, dass Heckenschützen des Regimes überall auf der Lauer liegen.

Wissam al-Jazair - Qusair
Wissam al-Jazair – Qusair

Nun also schickt die Hisbollah große Kontingente ihrer Kämpfer, um den geschwächten syrischen Streitkräften unter die Arme zu greifen. Angeblich wurden bereits am ersten Tag der Kämpfe Dutzende von Hisbollah-Kämpfern in Qusair getötet, darunter ein Familienangehöriger von Hassan Nasrallah.

Die spöttische syrische Revolutionskunst hat in diesem Zuge Nasrallahs berühmte Äußerung aus dem israelisch-libanesischen Krieg 2006 aufgenommen. Damals ließ er verlauten, die Hisbollah könne Ziele „baad baad Haifa“ – also „noch weit über Haifa hinaus“ treffen. Der junge syrische Designer Wissam al-Jazairi stellte zum Angriff auf Qusair eine Landkarte ins Netz, bei der die syrische Ortschaft genau dort eingetragen ist: viele Kilometer südlich der israelischen Küstenstadt.

Im Zuge der antirevolutionären Propaganda strahlte das syrische Staatsfernsehen Bilder aus, auf denen ein israelischer Militärgeländewagen zu sehen ist – angeblich habe die syrische Armee diesen den Rebellen in Qusair abgenommen. Die Vorstellung, dass Rebellen allen Ernstes ein solches Fahrtzeug vom Golan nach Homs gefahren haben könnten, zieht Spott auf Twitter auf sich („Per Esel oder wie?“), und verlangt einer Betrachterin im Libanon nur ein müdes Lächeln ab: „Die Hisbollah hat reihenweise israelische Ausstattung eingesammelt, vor 2000 und nach dem Abzug der israelischen Truppen aus dem Südlibanon. Sie hat ein ganzes Disneyland davon in ihrem Freiluft-Museum in Mlita.“


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