Seit mit dem Putsch in Ägypten Präsident Mursi aus dem Amt gejagt wurde, hat sich die Lage für die Menschen im Gazastreifen massiv verschärft. Nicht etwa, weil Mursi eine besonders freundliche Politik gegenüber den Palästinensern, und auch nicht gegenüber der Hamas betrieben hatte. Im Gegenteil, dass Verhältnis zwischen den Islamisten war angespannt. Aber Mursi setzte zumindest die Politik des Wegschauens gegenüber Gaza fort. Über die offizielle Landgrenze in Rafah kamen zwar nur relativ wenige Personen täglich, aber über ein Tunnelsystem blühte der illegale Handel und Personenverkehr – ein Lebenselexier für den kleinen Gazastreifen. Seit 2007 ist Gaza seitens Israel komplett abgeriegelt. Jetzt hat Ägypten unter den Generälen dieselbe Politik übernommen. Offensichtlich will man das „Problem“ Gaza an Israel zurückgeben. Das wird auf dem Rücken der 1,7 Millionen Menschen im Gazastreifen ausgefochten: Die ohnehin schon schwierige Versorgungslage mit kaum funktionierender Strom- und Wasserversorgung sowie unzureichender Abwasserentsorgung hat sich dramatisch zugespitzt. Das Schlimmste: Der beklemmend kleine Gazastreifen ist jetzt endgültig zum Hochsicherheitsgefängnis geworden. Zäune und Mauer von allen Seiten, Drohnen und Militärflugzeuge in der Luft, israelische und neuerdings auch ägyptische Marine zu Wasser.
Fast niemand kommt heraus, seit auch der Grenzübergang Rafah nach Ägypten gesperrt und nur wenige Stunden in der Woche für Notfälle geöffnet wird. Auf meinem Facebookaccount häufen sich die Geschichten von jungen, klugen Menschen in Gaza, die Stipendien zum Studium an europäischen und amerikanischen Top-Universitäten bekommen haben. Ihr Weg zu einer Bildung, die ihnen und vielleicht auch irgendwann einmal dem Gazstreifen den Weg aus er Misere weist. Aber sie sitzen bangend an der Grenze und warten tagein, tagaus auf die Erlaubnis zur Ausreise. Auf das, was eigentlich das normalste der Welt sein sollte.
Auf Twitter verbreitetes Bild: „In Gaza enden die Träume in Rafah“
Shahd A., eine 22jährige Bloggerin, wartete Tage lang auf ihre Ausreise nach Italien, wo sie eine Lesereise antreten will. Derweil hatte ihr Bruder Majed gehofft, am 3. Oktober am Empfang des Deutschen Vertretungsbüros in Ramallah teilnehmen zu können – aber seine Ausreise wurde aus „Sicherheitsgründen“ abgelehnt. Fast niemand kann zwischen Gaza und der Westbank reisen. Youssef H. hat ein Stipendium für die Oxford Universität und bittet seine englischen Kommilitonen um Hilfe. Nach vielen Stunden des Bangens, oftmals umsonst, kommt er doch noch durch, und schließlich auch die völlig entkräftete Shahd: „I cannot find words to describe my emotions. I’m overwhelmed! I tried to control my excitement because I didn’t want to get frustrated knowing that uncertainty is what defines our lives in Gaza. But everything went smooth. The moment my feet stepped outside the Egyptian side of the Rafah border crossing, I started running, laughing, and crying in the same time. My happiness was beyond description. Finally my nightmare has come to an end.“
Zu alldem kommt die drangsalierende Politik der Hamas, die mittlerweile fast ohne Verbündete dasteht und durch den Druck den Überwachungsstaat nochmals verstärkt hat. Die Welt schaut bisher nur zu, während Ägypten und Israel den Gazastreifen strangulieren und 1,7 Millionen Menschen zur Geisel nehmen. Avaaz hat eine Petition zur Öffnung des Gazastreifens gestartet. Nächste Woche versuche ich in den Gazastreifen zu fahren und werde an dieser Stelle von der Lage vor Ort berichten.