Auf der Hauptstraße des Flüchtlingslagers Al-Zaatari, 70km nördlich von Amman, haben entlang der Hauptstraße in Containern dutzende Shops geöffnet, in denen fast alles zu haben ist: Obst, Gemüse, Süßigkeiten, Werkzeug, Haushaltswaren, Elektrogeräte, Fernseher. Es gibt Bäckereien, Friseursalons, Moscheen und Cafés. So groß ist die Vielfalt, dass die neue Hauptstraße von den syrischen Flüchtlingen schon informell mit einem guten Schuss Zynismus umbenannt wurde: In „Champs-Elysée.“ Ansonsten erinnern nur die überteuerten Preise an die französische Hauptstadt. Eines der Cafés hier heißt „Coffee Freedom “ – Freiheit, das ist das eine Gut, das weder in Syrien noch für die syrischen Flüchtlinge in Al-Zaatari zu erwerben ist.
Der zweite Besuch im Flüchtlingslager Al-Zaatari in Jordanien zeigt, dass ich viel verändert hat. Wo vor über einem Jahr nur endlose Zeltreihen und improvisierte Feld-Krankenhäuser standen, entsteht nun eine kleine Stadt. Hier leben Flüchtlinge aus Syrien, die den schweren Kämpfen aus der Region Der’a in Südsyrien entkommen sind. Hier fing 2011 alles an mit dem Aufstand gegen Bashar al-Assad. Wer hier angekommt, ist schwer traumatisiert vom Krieg. Viele Männer haben für die Freie Syrische Armee gekämpft, manche gehen auch wieder zurück ins Kriegsgebiet. Vor einem Jahr waren die Zustände im Lager noch so schlimm, das auch ganze Familien statt der harschen Bedingungen in Zaatari die Rückkehr nach Syrien unter Lebensgefahr erwogen. Jetzt bleiben die meisten, der Süden Syriens wird weiter heftig vom Regime Bashar al-Assad’s bombardiert. Der Leiter des UNHCR vor Ort, ein Deutscher, will das Flüchtlingslager Zaatari in eine kleine Stadt verwandeln. Mit Gemeineräten, Gericht und erhöhter Eigenverantwortung der Flüchtlinge; nicht um einen permanenten Wohnort zu kreieren (Zaatari zählt mit um die 100.000 Bewohnern bereits zu den größten Siedlungen in Jordanien), sondern um bis zur Rückkehr ihre Situation zu weit wie möglich zu verbessern und ihnen ein bisschen Würde zurückzugeben.
Internationale Hilfe wird zwar viel zugesagt in diesen Tagen, aber noch nicht einmal die mindeste humanitäre Grundversorgung erreicht alle Flüchtlinge. Besonders dramatisch ist die Lage der hundertausenden Flüchtlinge außerhalb der Lager: In Jordanien sind das über 400.000 (Hier ein Überblick über die deprimierenden Zahlen der Flüchtlingswelle nach Jordanien). Der Großteil ist arbeitslos und in Jordanien nur geduldet; Kinderarbeit, Verheiratung von minderjährigen Mädchen und Missbrauch sind wachsende Probleme der schutzlosen Flüchtlingsgemeinden, darunter viele Familien mit bis zu zehn Kindern, die völlig mittellos nach Jordanien geflohen sind, sind keine Seltenheit.
Unter den Jordaniern wachsen derweil Vorurteile und Feindseligkeit. Zwar stimmt, dass Jordanien lange die Grenzen für die Flüchtlingsströme geöffnet hatte. Aber uneingeschränkt offen ist die Grenze nicht mehr, Berichten zufolge dürfen unter anderem Flüchtlinge palästinensischer Herkunft und junge alleinstehende Männer die Grenze nicht mehr überqueren – das jordanische Königreich befürchtet Auswirkungen auf die innere Sicherheit. Wenn man bedenkt, dass die 80-Millionen-Nation Deutschland gerade einmal bereit ist 5000 Syrerinnen und Syrern Schutz zu bieten, erscheinen 500.000 Menschen für das kleine Nachbarland Syriens mit nur ca. 6 Millionen Einwohnern in einem anderen Licht.