[youtube]https://www.youtube.com/watch?v=LfvURQKpecc[/youtube]Düster sieht es aus um Aleppo. Die Stadt ist seit Monaten belagert. Während die Kameras sich auf Kobane richteten, gelang es dem Regime, den Zugang zur Altstadt, die von Rebellen gehalten wird, auf einen schmalen Korridor zu begrenzen.Was, wenn dieser sich auch noch schließt? „Wenn das Regime die Altstadt wieder einnimmt, sind Zivilisten Geschichte,“ sagte die Aktivistin Marcell Shehwaro Anfang November bei einer Veranstaltung in Berlin. Shehwaro ist Mitgründerin der Organisation Kesh Malek („Schachmatt“), die seit einigen Wochen eine Kampagne durchführt, um die Weltöffentlichkeit von ihrer ausschließlichen Konzentration auf die Terrormiliz ISIS abzubringen. Während ISIS im Westen als größte Bedrohung gesehen wird, leiden viele SyrerInnen mindestens ebenso unter den fortgesetzten, jetzt aber weniger beachteten Gewalt des Regimes. Daher kleben AktivistInnen wo immer sie hinkommen Piktogramme von Assad auf Toiletten, eines bärtig, eines mit Sonnenbrille. „Same Shit“: Assad und ISIS seien letztlich das Gleiche in grün.
Marcell Shehwaro und ihre MitstreiterInnen arbeiten gleichzeitig daran, die Lebensbedingungen in Aleppo zu verbessern. Sie unterhalten mittlerweile zehn Schulen in der Stadt. Schulen, ebenso wie Krankenhäuser, zählen zu den vom Regime am stärksten ins Visier genommenen öffentlichen Einrichtungen, Lehrer werden nicht mehr bezahlt. Das öffnet gerade reichen konservativen oder islamistischen Organisationen Tür und Tor. Für ihre Unterstützung von Schulen fordern sie, die Lehrpläne entsprechend umzugestalten. Kesh Malek arbeitet diesem Trend der schleichenden religiös-ideologischen Beeinflussung entgegen.
Als Marcell 2012 von islamistischen Milizen festgesetzt wurde, weil sie sich weigerte, ein Kopftuch zu tragen, sorgte dies für eine Protestwelle. Marcell wurde wenig später nicht nur freigelassen, sondern erhielt von der Miliz eine schriftliche Entschuldigung. Der Zwischenfall steigerte ihr Ansehen, denn sie hatte bei ihrer Verweigerung das Kopftuch zu tragen, nicht darauf verwiesen, Christin zu sein, sondern es als Recht aller SyrerInnen eingefordert, sich so zu kleiden, wie sie es für richtig hielten.
Als größte Stadt Syriens galt die Metropole Aleppo einst. Heute ist ein Großteil der Industrie zerstört, und Hunderttausende haben die Stadt verlassen. Vor fast zwei Jahren, zwischen Januar und März 2013, spülte der Queik-Fluss in Aleppo jeden Tag eine schaurige Fracht in dem von der Freien Syrischen Armee gehaltenen Stadteil an. Über 200 Leichen von Jungen und Männern fischten die Bewohner aus dem Fluss. Die meisten von ihnen hatten hinter dem Rücken verbundene Hände und waren durch einen Kopfschuss getötet worden. Viele von ihnen zählten sich selbst nicht zu Oppositionellen. Sie waren für ihren Lebensunterhalt in Regime-Territorien unterwegs, verschwanden an Checkpoints und wurden im Regimegefängnis oberhalb am Flusslauf ermordet.
Um ihrer zu erinnern, veranstalteten dieser Tage Aktivisten in Aleppo einen Lauf – keinen Marathon, einen Wettlauf. Mehr als 60 der in der Altstadt Aleppos verbliebenen hüllten sich in die Farben der Revolution und wurden bei einer durch ihre Einfachheit bestechenden Siegerehrung gepriesen. Sie stellen sich gegen den Strom, gegen das Vergessen des gewaltsamen Todes. Der Queik-Fluss firmiert unter Oppositionellen als „Fluss der Märtyrer.