Yarmouk – ist das nicht, wo ISIS …?

„Blue“[youtube]https://www.youtube.com/watch?v=gi4PzuOI10w[/youtube]

„Delegationen kommen, Delegationen gehen … es werden immer mehr Delegationen und immer mehr Versprechen – oh, was sind das für Zeiten,“ singen melancholisch die berühmt gewordenen „Piano-Helden“ von Yarmouk. Verwoben ist die Sequenz in den Dokumentarfilm „Blue“ des palästinensisch-syrischen Musikers und Regisseurs Abu Gabi, der damit den diesjährigen Samir-Kassir-Preis für Pressefreiheit im Libanon in der Rubrik Audiovisuelle Medien gewonnen hat. Das ist in mehrerlei Hinsicht erfreulich: erstens, weil es ein wunderbarer Film ist, in dem die Erinnerungen des Musikers mit der heutigen Lage zusammengebracht werdden.

Zweitens, weil es Yarmouk in Erinnerung ruft. „Yarmouk, ist das nicht was neulich von ISIS erobert wurde?“  Dass ISIS das Lager letztlich nicht übernommen hat, sondern – trotz der willkürlichen Luftangriffe des Regimes, nicht wegen – von den Bewohnern zurückgedrängt worden ist, ist nur von wenigen realisiert worden.

Yarmouk, zuvor zum Inbegriff des Leidens in Syrien geworden, scheint seit dem Überfall der Terrormiliz nur noch durch sie im kollektiven Gedächtnis präsent. ISIS temporärer Terror dort hat augenscheinlich die fürchterlichen Bilder der Massen, die dort um Essen anstehen aus dem Gedächtnis verdrängt.

Von den einst 450.000 BewohnerInnen des äußerst lebensfrohen Stadtteils von Damaskus, der als Palästinensercamp seinen Anfang nahm, sind schätzungsweise nur knapp über 10.000 geblieben. Die meisten sind geflohen, weil das Regime Yarmouk seit über zwei Jahren belagert und systematisch aushungert. ISIS hat für eine weitere Fluchtwelle aus dem Camp gesort. Umso schöner ist es, mit einem solchen Film den Geist zwischen den Ruinen von Yarmouk plakativ in den Vordergrund zu rücken: dass es nicht nur ein Hort von Kämpfern ist, sondern dass es weiterhin dort Zivilisten gibt, die sich weigern kleinbeizugeben, und die trotz allem, was ihnen widerfährt, den Kampf für ihre Rechte auf friedlichem Wege fortsetzen.

In diesem Jahr stammten alle drei Finalisten-Beiträge in dieser Kategorie aus den Produktionen von Bidayyat, und alle drei sind sehenswert: Ein armenischer Opernsänger spricht in dem Film „1915“ über das komplexe Verhältnis von Armeniern zu den jeweiligen Ländern und Gesellschaften in denen sie sich aufahlten. „Armenier, die nach Deir ez-Zor flohen, wurden von der dortigen Bevölkerung aufgenommen, und es wurde ihnen geholfen, ein neues Leben zu beginnen. Heute, 100 Jahre später sind sie wieder auf der Flucht. Aber diesmal sind sie nicht alleine. Die Leute aus Deir ez-Zor fliehen mit ihnen gemeinsam,“ sagt der Protagonist an einer Stelle.

In „Frontline“ filmt der Regisseur Saeed Batal, der sich weiterhin in der von Belagerung zermürbten und durch die Luftschläge des Regimes zerstörten Ghouta befindet, einen Scharfschützen, der letztlich die Waffe weglegt, um Bäcker zu werden. Schöner und melancholischer kann man in 12 Minutenn ichtauf dne Punkt bringen, wonach sich viele in Syrien sehen: Normalität, aber eine andere Normalität, als die, die sich im Krieg in vielen kleinen Enklaven auch an der Front etabliert.


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