Lacht kaputt, was euch kaputt macht

Screen shot 2016-05-13 at 21.28.05Es scheint, als hätte Putin jetzt auch Harry Potter gelesen und analog zu der dort im 4. Stock des Zauberei-Ministeriums beheimateten „Abteilung zur Führung und Aufsicht magischer Geschöpfe“ in der russischen Botschaft in London eine „Abteilung zur Instrumentalisierung fiktiver Apparaturen und Kreaturen“ geschaffen. Fantasievoll bebildert die Botschaft ihre Tweets zu echten oder behaupteten politischen Ereignissen mit Bildern aus Zombie-Filmen und Videospielen. Am 12. Mai dekorierte die Londoner Vertretung Moskaus ihren Tweet über angebliche Lieferungen von Chemiewaffen an Rebellen nahe Aleppo mit einem Bild, das drei LKWs aus dem Videospiel: „Command and Conquer“, zeigt.

Dass ist besonders hübsch, weil das russische Außenministerium zu anderen Gelegenheiten behauptete, Satellitenbilder von seinen Aktivitäten in der Ukraine seien einem Videospiel entnommen.

Für Scharen von Twitterern war das ein gefundenes Fressen. „Und hier die Extremisten!“ schrieb einer von ihnen und fügte das Bild einer fusselbärtigen Legomännchen-Armee mit einem Lego-Huhn an. „Oh je, wen haben sie nur gefunden, um mutig genug zu sein, diese Bilder hinter den Frontlinien aufzunehmen?“ fragt ein anderer, der eine Bild aus einem Commodore-64-verdächtigen Computerspiel postet, auf dem eckigen Gestalten Pfeile auf ihre Gegner abschießen

Screen shot 2016-05-13 at 21.16.34Selbst Twittererin „Partisangirl“, die sonst weder Zeit noch Mühe scheut, absurde Verschwörungstheorien des Regimes ein paar Windungen weiterzudrehen, fiel dazu nur die lahme Bemerkung ein, auf dem Bild stehe, dass es lediglich „zur Bebilderung“ diene, auf Gutdeutsch also einer Art Serviervorschlag gleichkomme.

Als ob es nicht genügend Bilder aus Syrien und dem Irak gäbe verbreiten sich fiktive Bilder zur Illustration des Unfassbaren oft wie ein Lauffeuer, im Gutgemeinten wie im Schlechten. Die iranische Künstlerin Bharesh Bisheh reagierte erstaunt darauf, dass sich ihr Foto von einem Mädchen, das sich auf dem Asphalt innerhalb mit Kreide gezeichneten Frauenfigur zusammengerollt hat, plötzlich selbständig machte. Die Legende, die dem Bild zum Erfolg verhalf: „Herzzerreißendes Foto einer irakischen Künstlerin aus einem Waisenhaus. Das Mädchen hat seine Mutter nie gesehen, daher hat es eine Mutter gemalt und sich zum Schlafen bei ihr eingekuschelt.“ Das Bild ging um die Welt, auch wenn die Zeichnung offensichtlich nicht von einem Kind stammt und die ganze Szene nicht recht schlüssig erscheint. Bharesh Bisheh schrieb daraufhin einen Hinweis auf Flickr: „Dieses Mädchen ist meine Cousine, die auf dem Asphalt vor meinem Haus eingeschlafen war. Sie muss ein Weilchen gespielt haben und sich dann hingelegt haben und eingeschlafen sein. Ich habe mich auf einen Stuhl gestellt, um dieses Bild zu machen. Das hat nichts mit einem Waisenhaus zu tun, und es steht keine tragische Geschichte dahinter. Ich habe die Gelegenheit wahrgenommen, um kreativ zu arbeiten. Es ist ein Fotografie-Stil. Ihr könnt mein Bild benutzen, wenn ihr auf mich als Fotografin verweist. Danke für euer Verständnis.“

Ähnlich erging es Abdel Aziz al-Atibi, der künstlerisch seinen kleinen Neffen in eine rote Decke gehüllt zwischen zwei Steinhaufen liegend fotografierte – ein Bild, das mit der Überschrift „Syrischer Junge liegt zwischen den Gräbern seiner Eltern“ bekannt wurde. Atibi bemühte sich um eine Richtigstellung, stellte weitere, diesmal fröhliche Bilder des kleinen Jungen ins Netz.

Weniger harmlos sind Bilder aus Spiel- oder Horrorfilmen, die als Bilder realer Barbareien präsentiert werden. CNN verbreitete ein Bild, das als „Steinigung eines Mädchens in Syrien durch ISIS, weil es auf Facebook war“ verkauft wurde – zwar mit der Einschränkung „angeblich“, was der Verbreitung aber keinen Abbruch tat. Das Bild entstammt einem dem  amerikanischen Film „Die Steinigung der Soraya M.“, der im Iran spielen soll. Auch „Frauen in Käfigen auf einem Pick-Up „, die laut Beschreibung auf dem Weg zu einem „Sklaven-Markt von ISIS“ seien, bekam gehörigen Auftrieb. Das Original: eine Performance von einer ägyptischen Demonstration. Ebenso werden online gerne Bilder von schwarz verhüllten Frauen, die aneinandergekettet sind, als Illustrationen der sexuellen Sklaverei von ISIS geteilt – Bilder, die den schiitischen Ashura-Prozessionen entstammen, bei denen sich die Betreffenden im Gedenken an das Martyrium Husseins als seine vor 1300 Jahren in Ketten gelegten Schwestern inszenieren. Nicht zu vergessen auch das Bild einer „Christin die von ISIS mit einem Pfahl“ im Bett getötet worden sei – in Wirklichkeit entnommen einem westlichen Horrorfilm.

Ich habe in den letzten Jahren Hunderte von Aufnahmen der Grausamkeiten in Syrien angeschaut, profesionell gefilmtes oder mit verwackelten Handykameras dokumentiertes Foltern und Morden. Ob ISIS‘ Schergen oder die des Regimes: Sie dokumentieren sich gerne bei ihren unvorstellbaren Taten. Die einen, um einzuschüchtern, die anderen, weil sie sich in Sicherheit vor der Strafverfolgung wähnen. Dritte, wie der unter dem Pseudonym Cesar bekannt gewordene Fotograf, waren angestellt vom syrischen Regime, um als Buchhalter des Grauens zu dokumentierten, dass die Geheimdienste ihr tägliches Soll todbringender Taten erfüllen. Diese Dokumente der absoluten Abgründe der Menschlichkeit sind Mahnmale der Schande für die Täter und all diejenigen, die sie haben gewähren lassen.

Umso wichtiger, den lächerlichen Manipulationen  der russischen Botschaft in London gewitzt zu begegnen, um ihr albernes, aber gefährliches Spiel mit den Bildern offenzulegen. Statt auf die täglichen Kriegsverbrechen hinzuweisen, befördert dies den Konflikt und die bequeme westliche Wahrnehmung, man „könne es nicht so genau wissen.“ Angesichts dessen, dass jetzt schon Videospielaufnahmen bemüht werden, fehlt nur noch, dass alsbald die Personalausweise von Harry Potters schaurigem Gegenspieler Lord Voldemort oder dem Inbegriff des Grauens aus „Herr der Ringe“, Sauron, als „Ausweispapiere getöteter syrischer Rebellen“ präsentiert werden.