Ein Gastbeitrag von Bastian Neuhauser
Wenn sich jemand auskennen muss mit den Details der Biergeschichte, dann ist es wohl der Verein zur Förderung der Fränkischen Braukultur. Auch wenn auf den ersten Blick nicht klar wird, warum diese Kultur in einem Gebiet wie Oberfranken, auf dessen gut 1 Million Bewohnern gut und gerne 160 Brauereien kommen, spezieller Förderung bedarf, bietet sie doch erhellende Einblicke in die Geschichte des Radlers.
Das Radler wird von Menschen im hohen Norden Deutschlands auch Alster genannt, von benachbarten Bergbewohnern auch Panasch, und von den Liebhabern gekochter Fleischware anscheinend auch Wurstwasser. Während die Legende besagt, dass das Getränk 1922 vom findigen Münchner Wirt Max Kugler zur Verpflegung einer eintreffenden Radfahrergruppe erfunden wurde, klärt der Verein auf: Mitnichten! Alles nur erfunden und erlogen! Die Fachzirkel der Genesis regionaler Biermischgetränke sind sich heute sicher, dass die Radlermaß bereits Ende des 19. Jahrhunderts in einem der zumeist sozialdemokratisch geprägten Radlerklubs erfunden wurde. Es handelt sich also geradezu um das Ambrosia der gemäßigten Linken; was Obelix sein Zaubertrank, Popeye sein Spinat, ist der Sozialdemokratie ihr Radler.
Von dort an – vermutlich aus Gründen nachbarschaftlicher Zuneigung oder aus Liebe zur deutschen Sozialdemokratie – hat es sich sie niederländische Industriebrauerei Heineken zur Aufgabe gemacht, dieses Vermächtnis um die ganze Welt zu tragen. Und das wohlweislich nicht als britisches Shandy oder französisches Panaché, sondern unter seinem angestammten Münchner Bierkellernamen: Ob Honshu oder Honduras, Schweden oder Swasiland, das Radler sollte „Radler“ bleiben. Und so begab es sich, dass Heineken die libanesische Brauerei Almaza und mit ihr gut 70% des libanesischen Brauereigeschäftes übernahm, und eines Tages das Radler nach Beirut kam.
Nun bleibt abzuwarten, ob dieses Biermischgetränk im Libanon einen ähnlich erfolgreichen Siegeszug antritt wie im gemäßigten Klima Mitteleuropas. Die Libanes_innen besitzen viele Talente – zweifelsohne einen ganz ausgeprägten Sinn fürs Geschäft, die perfekte Organisation von Hochzeiten biblischen Ausmaßes und eine Treue zu ihren politischen Idolen bis dass der Tod sie scheide – doch Kompromiss und Mäßigung sind nun leider keine davon. Reden ist Silber, Schreien ist Gold. Man füllt sein Haus mit barockem Mobiliar, verlängert Wimpern bis sie von innen an die Sonnenbrille kratzen, errichtet Statuen von Heiligen, die den Koloss von Rhodos vor Neid erblassen lassen würden. Es werden Delikatessen bestellt, bis auch die letzte Kreditkarte bedingungslos vor der Konsumlust ihrer Besitzer kapituliert, Musik wird aufgedreht bis sich die getönten Scheiben der SUVs am liebsten aus ihren Halterungen in den wohlverdienten Freitod stürzen würden und man brettert betrunken über Autobahnen zum nächstbesten Club auf der Suche nach dem letzten Rest Exzess, als gäbe es kein Morgen im Morgenland.
Auch das Parlament gibt hierbei kein Vorbild. In maßloser Auto-Apotheose streiten sich dort alte Männer, scheinbar gerade mühsam aus Uniformen in uniforme Anzüge geschlüpft, einig in ihrer Uneinigkeit. Man trifft sich einmal, zweimal, fünfundvierzigmal, bei Regen, Donner, Wetterstrahl, und geht ohne Entscheidung wieder auseinander. Sie zeugen stur von einer selbstgerechten Selbstüberhöhung, einer Unwilligkeit Mittelwege zu finden oder Lösungen für Probleme, die dringender sind als lang überbaute grüne Linien: pah, lieber Konkurs als Konkordanz, sollen sie doch Knefeh essen! Und wenn schon Vertreter des Volkes dazu nicht gewillt sind, warum sollte dann ein Kompromiss beim wohlverdienten Glas nach Feierabend gefunden werden? Warum zu Dabkeh und Dubstep etwas trinken, dessen Alkoholgehalt niedriger ist als der Anteil von Frauen im Parlament oder Grünflächen in Beirut? Nein, nein, man trinkt Arak statt Alster, und dreht die Musik noch etwas lauter.
Kein vielversprechender Ort also für das unschuldig halbherzige daherkommende Radler, diesen gebrauten Kompromiss. Doch wer weiß, vielleicht schafft es das Radler ja ein kleines bisschen Ausgeglichenheit in die Levante zu bringen. Vielleicht. Oder es ereilt ihn dasselbe tragische Schicksal, wie seinen Erfindern, den Sozialdemokraten in Bayern. Wünschen möge man es ihm nicht.
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Bastian Neuhauser ist seit April 2017 Projektassistent im Büro der Heinrich Böll Stiftung in Beirut. Davor studierte er Politikwissenschaften und Soziologie unter anderem in Berlin.