Ein Gastbeitrag von Sara Stachelhaus
Jedes Mal, wenn ich die Wahl meines bevorzugten Transportmittels in Beirut verrate, erhalte ich eine ähnliche Reaktion in der Form der nonverbal artikulierten oder ausgesprochenen Frage, ob ich vorhabe, Beirut lebendig wieder zu verlassen. Fahrrad fahren in Beirut? Bloß nicht! Da es mir anscheinend ein besonderes Alleinstellungsmerkmal verleiht, Rad zu fahren – nebst einem guten Gesprächseinstieg – fühle ich mich dafür verantwortlich, Aufmerksamkeit auf Freud und Leid der Beiruter Radfahrer zu lenken. Als Mitglied dieser unterprivilegierten Minderheit sehe ich es als meine Pflicht, meine Mitmenschen zu ermutigen ihre Abgas-produzierenden Autos zu Hause stehen zu lassen, und sich auf ihre Köperfett-reduzierenden Räder zu schwingen.
Vielfältiger als die besorgte Standardfrage nach meinem Selbererhaltungstrieb sind die Reaktionen, die ich im Straßenverkehr auf meinem alltäglichen Abenteuer durch den Großstadt-Dschungel erhalte. Die beliebteste Frage ist die nach meiner Herkunft. Selbstverständlich, mein Aussehen kombiniert mit dem Fakt, dass ich eine Frau auf einem Rad bin, gibt mich augenblicklich als Ausländerin preis. Andere nehmen an, ich sei hier, um für die Tour de France zu trainieren – ich, auf meinem pinken Damenrad. Auch wenn ich meinen Gewinnchancen bei dem Fahrradrennen pessimistisch entgegenblicke, stimmte ich dennoch inbrünstig in den Jubel jenes Autofahrers ein, der die Fenster herunterließ um „Vive La France“ über die Straße zu brüllen. Sie sind es, die eingesperrten Menschen in ihren Autos, die mir tagtäglich vor Augen führen, was für einen Vorteil ich habe, wenn ich sie im Stau des Feierabendverkehrs überhole. Auch sie sehen es so, und rufen mir manches Mal fast neidvoll hinterher:
„Radfahren ist das Beste was du tun kannst in Beirut!“
Ja, dem stimme ich zu.
Und an jene, die sich um mein Wohlergehen in dem von aggressiven Fahrverhalten dominierten Straßenverkehr Sorgen machen: Wenn es zu Radfahrern kommt, haben manche Autofahrer mehr Angst vor mir als ich vor ihnen. Der Abstand, den manche von mir halten, ist beinah liebenswert (und wird von mir sehr gewürdigt!), als ob sie davon ausgingen, dass ich jede Sekunde grundlos von meinem Rad fallen könnte. Jeder, der schon einmal in einer durchschnittlich-großen, europäischen Großstadt aus Versehen einen Fuß auf den Radweg gesetzt hat, weiß, dass Radfahrer in Europa absolut rücksichtslos sein können. Ich habe nicht vor, diesen rücksichtslosen Fahrstil gutzuheißen und für Beirut zu propagieren – ganz im Gegenteil! Was ich bloß sagen will, akzeptiert Radfahrer als normale Verkehrsteilnehmer, die man nicht fürchten muss, sondern die man überholen kann – sie werden auch dich überholen, wenn sie können.
Ich habe jedoch nicht die Absicht, die Illusion zu kreieren, dass ich mich als Radfahrerin sicher auf Beiruts Straßen fühle. Jede Fahrt ist ein Risiko. Ein Risiko, das wenigstens auf den Hauptstraßen der Innenstadt eingedämmt werden könnte, wenn man Radwege einrichten würde. Außerdem, nicht jeder teilt die Furcht vor Radfahrern, wie sie oben beschrieben ist. Manche scheinen sich zu wünschen, wir würden uns in Luft auflösen, und scheinen zu glauben, dies in die Tat umsetzen zu können, wenn sie uns nur zu nahekommen. Mein Rat: Radfahren nur mit Helm und Augen auf!
Das ‚Gute‘ am Radfahren in einer Stadt mit einer kleinen, gefährdeten Radfahrerminderheit ist, dass sich bisher niemand die Mühe gemacht hat, Schilder anzubringen die verbieten, dass man sein Rad an öffentlichen Eigentum wie Geländern, Bäumen oder Straßenschildern anschließen darf. Das wäre aber auch schwierig, da Fahrradständer eine Seltenheit in Beiruts Straßen sind. Sie würden allerdings nicht nur das Straßenbild positiv prägen, sondern auch mehr Menschen ermutigen, sich per Rad zu bewegen. Eine libanesische Organisation, die gemeinsam mit Privatunternehmen, Nachbarschaftsorganisationen sowie der Stadtverwaltung Fahrradständer aufstellt, ist ‚Chain Effect‘. Ihr größtes Modell hat die Silhouette eines Autos. Wo ein Kleinwagen parkt, so die Botschaft, könnten 12 Fahrräder Platz finden. Wenn in einer Stadt, in der Parkplätze schwierig zu finden sind, 12 potentielle Kunden ihre Shopping- oder Essenstour von einem Parkplatz aus starten können, der normalerweise nur maximal fünf Kunden heranbringen könnte (und wie viele Autos sind schon voll belegt?!), dann sollten Geschäfte und Restaurants rasch auf den Zug, oder besser, auf das Rad aufspringen, und Fahrradständer statt Autoparkplätze zu Verfügung stellen. Gerade Restaurants sollten berücksichtigen, dass Radfahrer hungriger als Autofahrer sein dürften.
Fazit: Radfahren in Beirut ist höchst empfehlenswert. Für Adrenalin-Junkies empfehle ich auf jeden Fall die Rush Hour, und für verträumte Genießer, sich an der Strandpromenade ein Fahrrad auszuleihen. Falls du einen Radausflug mit anderen machen möchtest, gibt es organisierte Fahrten wie den ‚Beirut Night Ride‘. Auf den Facebook-Seiten ‚Beirut By Bike‘ oder ‚CyclingCircle‘ findest du die Events.