Babylon – Beirut

Schild im Qaddesha-Valley (c) Anna Fleischer, mit freundlicher Genehmigung von Anna Fleischer Alle Rechte vorbehalten

Eine der ebenso charmanten wie irritierenden Alltagsangelegenheiten im Libanon ist die Sprachgewandtheit der Libanesen. Nicht genug damit, dass die meisten Beiruter neben Arabisch ebenso selbstverständlich Englisch oder Französisch oder alle drei beherrschen, sie mischen sie auch freudig innerhalb eines Satzes.

In Deutschland schaudert es Sprachpuristen, wenn Anglizismen eingeflochten werden; „Kauderwelsch“ genießt kein gutes Ansehen. In der Bibel bringt Gott die Sprachverwirrung über die Babylonier, um sie für ihren Übermut zu strafen. In Beirut erscheint ganz im Gegenteil nicht die Viel-, sondern die Einsprachigkeit als Strafe. Sich fließend zwischen verschiedenen Idiomen zu beweegen gilt als Ausdruck von Weltoffenheit und wirkt identitätsstiftend als liebgewonnene Eigenheit, die auch Sprecher mit perfektem Englisch dazu bewegt, das „but“ beharrlich durch „bas“ zu ersetzen, oder Ich-Aussagen mit dem Arabischen „Ana“ einzuleiten – „Ana, I’d say“ – „Ich, ich würde sagen …“ Eine syrische und somit aus einem viel homogener arabisch geprägten Sprachumfeld kommende Freundin meinte, ihr Lieblingssatz sei die Modeberatung, die sie in einem Geschäft erhalten habe: „C’est k’tir k’tir chic bas k’tir k’tir simple.“ – „Das ist sehr schic aber gleichzeitig sehr schlicht.“

Das ist verlockend für jemanden, der sprachlich nicht so versiert ist: Fällt einem das Wort in der einen Sprache nicht ein, setzt man einen affektierten Gesichtsausdruck auf und flicht es beiläufig in einer anderen ein.

Mein kleiner Sohn, im Kindergarten beständig mit der Dreisprachigkeit konfrontiert, setzte das auch zu Hause fort. Englisch für Vereinbarungen, Arabisch für Beschleunigen und Bremsen, Französisch mit einem entsprechenden Gesichtsausdruck für die kleinen Mitteilungen zwischendrin. „Au toilet“, näselte er stets, wenn er aufs Klo wollte. Der Größere regte sich auf: „Du kannst das auch auf deutsch nett sagen. Ich sage immer „ich muss mal für kleine Königstiger.“ Der Kleine: „Mama, sind in unserem Bad TIGER?“

Auch ich amüsierte mich immer wieder über mich selbst, zum Beispiel, als eine Kollegin erzählte, sie hätten für einen Passanten Hilfe gerufen: „We called the Croissant Rouge!“ – Nach all den Jahren dachte ich immer noch spontan ans Frühstücksgedeck und nicht an die Krankenwagen des Roten Halbmonds. Oder bei Benennungen, die aus deutscher Sprachsicht vielleicht etwas unglücklich wirken wie „Rod’s Burger“, der mich unweigerlich an Schnupfen denken ließ. „Erinnerst du dich, wie wir in Damaskus immer über das große Schild des Arztes auf der anderen Straßenseite gelacht haben, „Dr. Chit“?“ warf meine Freundin aus Damaskus ein, „nicht zu reden von dem Wegweiser zum  „Grave of the unknown S.“, bei dem der Platz nicht ausgereicht hatte, und der „unbekannte Soldat“ gleich noch ein bisschen anonymer wurde!“

Gerne werden auch Wörter aus anderen Sprachen „arabisiert“ – nicht als Regierungsprogramm, sondern für den Alltagsgebrauch. „Gib mir einen ‚missed call’? Vokale raus, Konsonanten rein: „Tmskillni“. Wer sich nicht schon am frühen Morgen als Ausländer zu erkennen geben möchte, erwiedert „Bonjour“ mit „Bonjoureen“ – wünscht Du mir einen guten Morgen, wünsch ich Dir gleich zwei! Wie einmal ein Gesprächspartner heiter feststellte: „Die Kolonialmächte haben für einige Jahrzehnte unser Land nach ihren Vorstellungen geformt, wir rächen uns für immer an ihrer Sprache!“

Eine Untersuchung der Amerikanischen Universität in Beirut befasste sich damit, ob es bei diesem Sprachengewirr Unterschiede zwischen einzelnen Stadtteilen gäbe, ob der eine eher zum Englischen, der andere eher zum Französischen tendiere und man so die Geschichte der Stadt und ihre Brüche auch linguistisch abbilden könne. Die Forscher stellten fest, dass sich im öffentlichen Raum keinesfalls nur diese beiden prominent wahrgenommenen Sprachen oder durch die Aurnahme geflüchteter Armenier vor 100 Jahren in den durch sie geprägten Gegenden Armenisch niederschlugen, sondern Beiruts Beschilderung und insbesondere die Namensgebung von Restaurants und Geschäften noch vielfältiger ist. Sie trägt nicht nur der Geschichte des Landes Rechnung, sondern auch dem Umstand, dass Libanon ein traditionelles Auswandererland ist, von denen wiederum viele Einflüsse zurück in den Libanon getragen werden.

So, wie es in Berlin Imbisse gibt, die mit geschwungenen Linien und vielen eckigen Punkten darüber und darunter vortäuschen, arabisch beschriftet zu sein, hält es allerdings manch ein Hot-Dog-Laden auch in Beirut, wenn er „Frankwürst“ anbietet.


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