Frauenfreundschaften in Palästina

Ein Gastbeitrag von S., Praktikantin im Büro Ramallah

Die Westbank ist klein. Orte, in denen das Nachtleben nicht nur aus Kaffeehäusern und Schischa Bars besteht, sind begrenzt. Möchte man die im besetzten Westjordanland maximal möglichen Freiheiten genießen, endet man wohl oder übel in Ramallah – dem wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Zentrum des Landes.

Und man kennt sich in Ramallah. Mit seinen offiziell knapp 34.000 Einwohnern (in Wirklichkeit sind es sehr viel mehr) und dem kleinen Anteil an Nachtschwärmern ist das kein Wunder. Ich lerne die ersten Leute an meinem zweiten Abend kennen, als ich mit meinen Mitbewohnerinnen ein Bier trinken gehe. Bald kann ich mitreden, wenn jemand über Ahmad („Der aus Hebron oder der, der Jura studiert hat?“), Mohammad („Unser Mohammad oder der Tandem-Mohammad oder der amerikanische Mohammad?“) und Jalal spricht. Es macht Spaß, dass jeder jeden kennt und man so leicht in dieses Netzwerk hineinkommt. Freundschaften schließen im Akkord. Der Haken – man – oder besser gesagt: frau lernt nur Männer kennen. An sich ja egal, aber es wäre doch mal schön, sich auch mit einer Palästinenserin zu unterhalten, zumal viele von ihnen wirklich beeindruckend sind. Sie treten mit einer Selbstsicherheit und Präsenz auf, die ich selten sehe und von dem weiblichen Gesprächsanteil bei gemischten Diskussion könnte sich mein Freundeskreis zuhause etwas abschneiden. Die jüngeren Frauen in den Bars sind so individuell angezogen, dass ihr Style ein neues Genre verdient hätte und bei den zwei weiblichen DJs aus Ramallah habe ich zu den (meiner Meinung nach) besten Sets seit langem getanzt.

„Garage“ – eine der populärsten Bars in Ramallah Alle Rechte vorbehalten

Der Freundinnen-Gedanke geht mir nicht mehr aus dem Kopf und als mich die (unglaublich coole) Barkeeperin bei der nächsten Party freundlich anlächelt, wittere ich meine Chance, endlich eine Freundin zu finden. Ich höre gar nicht mehr auf, zu lächeln und versuche, sie in ein Gespräch zu verwickeln. Sie antwortet freundlich, mir gehen auf die Schnelle die Themen aus, und ich quatsche irgendwas über lokale Biermarken. Nach ca. fünf Minuten scheint sie ziemlich erlöst, als jemand am anderen Ende der Bar ein Bier (Corona) bestellt…

Die zweite Gelegenheit ergibt sich dank eines Besuchs bei der Frauenärztin. Ärztin Olga ist leider 40 Minuten zu spät und so langsam sammeln sich immer mehr Frauen vor der Praxistür. Ich errege als Ausländerin ein bisschen Aufmerksamkeit, und als ich in Anfänger-Arabisch nach der Ärztin frage, bricht das Eis langsam. Bald bin ich im Gruppengespräch aufgenommen, und was ich nicht verstehe, wird von einer amerikanischen Palästinenserin in Echtzeit übersetzt. Die Frauen sind ziemlich witzig, und beim Thema Eifersucht zwischen Geschwistern im Kleinkindalter kann ich souverän auf meine Erfahrungen als Tante zurückgreifen. Als sich das Gespräch dann Richtung Schwangerschaft bewegt, bin ich planloser und höre lieber zu. Das wird bemerkt und sofort nach meinen Kindern gefragt. Habe ich nicht. Verheiratet? Nein, auch nicht. Naja, das solle ich mal lieber genießen und schließlich sei ich ja noch jung. Als ich 27 sage und klar wird, dass das kein Versprecher war, kehrt kurz Stille im Wartezimmer ein. In Palästina wird im Durchschnitt deutlich früher geheiratet. Einige Frauen lächeln mir aufmunternd (mitleidig?) zu und meine amerikanische-palästinensische Sitznachbarin Marwa tätschelt mir die Schulter – das kann ja beides noch werden, meint sie tröstend. Dass ich eventuell weder das eine noch das andere will, führe ich nicht aus. Schnell wird das Thema gewechselt und mir wird klar, dass meine Wartezimmer-Bekanntschaften und ich in anderen Welten leben und das wohl nicht zu einer komplett offenen Freundschaft führen wird. Aber eine Verabredung zum Knafeh Essen (Palästinensische Süßigkeit) steht auf jeden Fall.

Eine Woche später laufe ich mit meinem Freund Ahmad durch die Altstadt von Ramallah. Er möchte mir einen Klamottenladen zeigen, der mir bestimmt gefällt. Wir gehen zu Babyfist, ein kleiner heller Laden mit zwei langen Stangen auf beiden Seiten. An die Wand ist eine Karte gemalt auf der einige Polaroidfotos glückliche internationale Käuferinnen zeigen.

Das „Babyfist“ – feministisches Modelabel in der Altstadt von Ramallah Alle Rechte vorbehalten

Ahmad fängt an, mir die arabischen Aufschriften auf den T-Shirts zu übersetzen.  This street is also my street, every rose has its revolution, get off my back. Irgendwann gesellt sich die Verkäuferin zu uns. „Wir sind ein feministisches Modelabel“, erklärt sie. 2018 hatte die Gründerin, Yasmeen Mjalli, mit Shirts mit dem englischen Aufdruck Not your habibti („Nicht Dein Liebling“) angefangen. Den Ausruf „habibti“ (Liebling) rufen in der arabischen Welt Männer mitunter Frauen auf der Straße nach. Das Label entwickelte sich schnell weiter und inzwischen promoten die (hauptsächlich in Gaza produzierten) Produkte Gleichberechtigung und Unterstützung von Frauen die sich nicht in gesellschaftliche Normen pressen lassen wollen. 10 % der Gewinne gehen an Frauen- und Mädchenprojekte. „Heute waren wir zum Beispiel im Shuafat Flüchtlingslager nahe Jerusalem um dort mit Mädchen der sechsten Klasse einen Menstruations-Workshop zu veranstalten“, erklärt die Verkäuferin. Ich bin begeistert und möchte mehr wissen. Als sie erzählt, dass sie gern Jura mit Fokus Menschenrecht studieren würde, erwähne ich die Veröffentlichungen unserer Partner bei der hbs. Sie kennt sie natürlich und fragt ein bisschen verunsichert, ob ich ihr nicht ein paar von ihnen ausleihen könnte. Schnell sind Handynummern ausgetauscht und wir verabreden uns für einen Kaffee am Wochenende.

Ahmad ist inzwischen ein bisschen gelangweilt, und gerade haben neue Kunden den Laden betreten. Wir verabschieden uns, ich bezahle mein wunderschönes Shirt (Get off my back), und wir machen uns auf dem Weg. Beim Verlassen des Ladens bemerke ich auf einmal, dass ich drauf und dran bin mich mit einer Palästinenserin zu befreunden. Ich überlege mir gleich, ob es doof ist, das neue Shirt bei unserem Treffen anzuziehen, ob ich die Veröffentlichungen lieber auf Englisch und Arabisch mitbringe und welches Café ich vorschlagen soll… In Ramallah bin ich wohl vor einer Kaffeeverabredung mit einer Bekannten aufgeregter als ich es je vor einem Date gewesen bin.


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