Syrien bei den Olympischen Spielen: Die Herrenreiter*innen aus Damaskus

„Houdini – nur besser“ – so beschreibt sich der syrische Kunstturner Lais Najjar auf seinem Instagram-Profil. Er ist einer der sechs Olympia-Teilnehmer, über die Syriens offizielle Nachrichtenagentur SANA Mitte Juli stolz berichtete.

Najjar hat einen sogenannten „Universality Spot“ erhalten. Diese sind, so heißt es auf der offiziellen Webseite der Olympischen Spiele, „Nationen vorbehalten, die traditionell unterrepräsentiert sind“, um für mehr Diversität bei den Spielen zu sorgen. So löblich das Ansinnen ist, im Falle Syriens stellt sich die Frage, wie sehr die geringe Zahl der Olympia-Beteiligung ein hausgemachtes Problem ist. Zum einen treten 2024 in Wirklichkeit fast doppelt so viele syrische Sportler*innen in Paris an, elf insgesamt. An Talent mangelt es dem Land also nicht. Nur ignoriert die offizielle Regime-Zählung fünf derer, auf die die Nation stolz sein könnte – weil sie nicht unter syrischer Flagge, sondern im internationalen Team Geflüchteter antreten. Das ist geradezu ein Sinnbild der syrischen Demografie, denn rund die Hälfte der syrischen Bevölkerung ist vertrieben.

Zum anderen geht in dem von Korruption geprägten Staat selbst im Sport traditionell vieles nach Loyalität und persönlichen Verbindungen. Mit Fairplay hat das wenig zu tun, und manchmal tragen internationale Sportvereinigungen noch dazu bei zu politisieren. Besonders makaber ist zum Beispiel, dass die FIFA sich die Regimebehauptung zu eigen macht, die syrische Nationalmannschaft sei ‚neutral‘. Steve Fainaru zitierte in seinem Artikel über „Das Team des Diktators“ 2017 den syrischen Sportreporter Anas Ammo: Allein 38 syrische Spitzenfußballer waren bis dahin vom Regime erschossen, in Bombardements umgekommen oder zu Tode gefoltert worden. Dreizehn weitere, so Ammo, seien verschwunden, vier vom IS ermordet worden.

Eine besondere Vorliebe haben Regimeangehörige und ihre Freunde zum Reitsport. Das betrifft sowohl den in der letzten Kurve vor dem Damaszener Flughafen in seinem Mercedes ums Leben gekommenen älteren, als auch den jüngeren Bruder des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad. Der verstorbene Basil al-Assad, der eigentlich von Vater Hafez vorgesehene Nachfolger, ließ sich gerne mit Pferden porträtieren. Selbst im damals von Syrien besetzen Teil des Libanons wurde ihm eine Reiter-Statue in der Grenzstadt Chtaura errichtet. Diese wiederum war von solch nationaler Bedeutung, dass sie beim überstürzten Abzug der Syrer 2005 wegen Assads mutmaßlicher Federführung bei der Ermordung des ehemaligen libanesischen Premierministers Rafik al-Hariri demontiert und mitgenommen werden musste. 2020, als Syrien sich nach neun Jahren Krieg längst in einer tiefen Wirtschaftskrise befand, eröffnete das Regime in seiner Hochburg Latakia das Museum für den „Märtyrer, den ‚Goldenen Ritter Basil al-Assad‘. Auf 8000 Quadratmetern können Besucher*innen dort Pokale, Reitkleidung, Sättel und andere Devotionalien des verblichenen Temposünders bewundern.

Immerhin, so scheint es, verlaufen sportliche Rivalitäten seither in weniger dramatischen Bahnen. Für Spott sorgten 2019 ein Bild von Bashar al-Assads Nichte, der Tochter seines jüngeren Bruders Maher, auf dem sie mit jeweils einem Bein auf der ersten und zweiten Stufen des Siegerpodests balanciert, in den Händen die entsprechenden Auszeichnungen. „Gott Gnade dem, der zu verantworten hat, dass der dritte Platz an jemand anderen ging.“ – „Der zweite Sieger wurde ‚zufällig‘ direkt zuvor von einem Auto überfahren“, „Gut, dass sie nicht drei Beine hat“, mokierten sich auf Twitter langjährige Beobachter*innen syrischer Politik.

Für Paris 2024 können wir also gespannt sein, was das Springreiten betrifft. Nachdem 2012 in London und 2020 in Tokio Ahmad Hamsho in dieser Disziplin für Syrien antrat, ist mit seinem jüngeren Bruder mit Amre Hamsho dieses Jahr eine zweite schillernde Gestalte aus Maher al-Assads engstem Kreis am Start. Assads jüngerer Bruder ist verantwortlich für die berüchtigte 4. Panzerdivision – eine mit dem Iran besonders eng verbundene Elite-Einheit der syrischen Armee, die in den letzten Jahren weniger wegen ihrer Kampfeskraft als wegen ihrer Geschäftstüchtigkeit im profitablen Drogenhandel des Regimes mit Captagon von sich reden machte.

Als Amre Hamcho sich für die olympischen Spiele 2024 qualifizierte, jubelte die Zeitschrift der Internationalen Reitervereinigung „Auf nach Paris: Traum eines syrischen Stars wird wahr!“ Im Herbst des vergangenen Jahres beschrieb ein syrischer Funktionär des syrischen olympischen Komitees – Omar Aroub, der selbst jetzt von den olympischen Spielen ausgeschlossen wurde, weil er in Menschenrechtsverbrechen verwickelt ist – Amres und Ahmad Hamshos Teilnahme an den Asien-Spielen im chinesischen Hangzhou bereits als eine „Botschaft des Friedens, der Hoffnung“.

Die Hamsho-Familie gilt als eng mit dem Regime verwoben, Profiteure des Kriegs. Gerade für die Frage, wer den Wiederaufbau in Syrien bezahlen soll, ist brisant, dass die Hamshos sich mit der Demontage von Infrastruktur und Immobilien eine goldene Nase verdient haben sollen. Sie habe, so die die Financial Times, die Gerätschaften bereitgestellt, um in vom Regime zurückeroberten Städten selbst den Rippenstahl aus den Decken der Wohnhäuser zu reißen, um diesen als Altmetall zu verkaufen, allen voran im wegen seiner klaren Positionierung gegen das Regime zur Strafe entvölkerten Daraya, das einst die siebtgrößte Stadt Syriens war.

Wären die USA nicht gerade so sehr mit sich selbst beschäftigt, könnte es für einen transatlantischen Eklat sorgen, wenn die Familie Hamsho zu Olympia 2024 nach Paris käme. Amre und Ahmad unterliegen, ebenso wie ihre Eltern, den sogenannten „Caesar Sanctions Act“. Damit belegt die US-Regierung diejenigen Syrer, die in besonderer Weise in Menschenrechtsverbrechen impliziert sind. Benannt ist das Sanktionsregime nach einem Fotografen, der im Auftrag des Regimes tausendfach die Leichen von dessen Folteropfern fotografierte und die Bilder aus Syrien hinausschmuggelte. Im Zweifelsfall können sich die Zwangsmaßnahmen der USA unter diesem Sanktionsregime auch auf Drittstaaten erstrecken.

Vater Mohammad Hamsho, Businessman und vormaliger Abgeordneter in Syrien, dürfte seinem Sohn definitiv nicht von der Tribüne aus zujubeln: Er steht wegen seiner gewinnorientierten Unterstützung von Regime-Verbrechen auch auf der EU-Sanktionsliste.

Ahmad, als 19-jähriger bei den olympischen Spielen 2012 in London vertreten, nutzte damals die Gelegenheit zu einem Interview. „Meine Regierung verteidigt das Land nur gegen Leute mit Waffen,“ bekundete Ahmad. Getreulich papperte er die Regime-Linie nach und stellte die gewaltsame Niederschlagung der Proteste so dar, als gelte es, lediglich ‚Terroristen‘ zu bekämpfen. Damals waren bereits über 10.000 Syrer*innen, welche für Freiheit und Würde auf die Straße gegangen waren, der willkürlichen Gewalt des Regimes zum Opfer gefallen. Der „Traum“ der Hamsho-Brüder, an olympischen Spielen teilzunehmen, kommt für viele Syrer*innen eher ihren schlimmsten Alpträumen nahe.
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Im Moment ist es kein Ponyhof, zu Nahost und Nordafrika zu arbeiten. Die Kriege und Krisen, durch die unsere Partner*innen in der gesamten Region gehen, wiegen so schwer, dass wir uns – schweren Herzens – entschieden haben, Heinrich von Arabien auf absehbare Zeit ruhen zu lassen.

Um die vielen Episoden, die es jeden Tag zu erzählen gäbe, ist es schade. Unserer Region kann man, wie auch allen anderen, nicht mit Schwarz-Weiß-Denken gerecht werden. Insofern freuen wir uns jetzt schon darauf, zu gegebener Zeit wieder Geschichten jenseits des „großen Ganzen“ zu erzählen.


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