Jedes Jahr im Juli kann man in Beirut einen besonderen Akt der Annäherung Libanons an Europa beobachten – speziell an Neapel: Plötzlich türmen sich die Müllberge in den Straßen. Bei knapp 40°C beginnt die ganze Stadt wie eine einzige Deponie zu riechen.
Das ist auf zweierlei zurückzuführen: Alljährlich läuft im Juli der Vertrag des Staates mit der Mülldeponie Naame ab, die den Müll Beiruts aufnimmt. Seit dem 17. Juli ist sie daher geschlossen. Der Vertrag mit der Entsorgungsfirma – der auch jährlich nur in einem zähen Ringen verlängert wird – ist getrennt davon: Er deckt den Abtransport des Mülls ab, aber die Firma sieht die Regierung in der Pflicht, die entsprechende Halde zur Verfügung zu stellen.
Entsorgung ist im Libanon ein lukratives Geschäft: 160 USD/Tonne stellt der Müllbetrieb dem Staat in Rechnung. Das ist das Doppelte und Dreifache desssen, was in anderen Staaten für die Entsorgung gezahlt wird. Die Müllentsorgungsfirma Sukleen verdient sich eine goldene Nase, alle andren halten sich die ihre zu – insbesondere die Bewohner der Küstenstadt Saida. Hier nämlich befindet sich eine der großen Mülldeponien des Landes. Mittlerweile wurden hier vier Mal so viele Abfälle abgeladen, wie ursprünglich geplant. Dass immer noch etwas zu passen scheint, liegt daran, dass die Deponie direkt an der Küste liegt und gerade im letzten Jahr durch Wind und Erosion die Hälfte der dort gelagerten Abfälle ins Meer gestürzt ist.
Obwohl klar ist, dass der omnipräsente Müll Libanon nicht attraktiver macht, geht niemand das Problem grundsätzlich an. Es wird vielmehr immer wieder nur vertagt – und das, obwohl verschiedene Organisationen über die Jahre immer wieder gute Vorstöße unternommen haben, eine Lösung zu finden. Dass es auch anders geht, zeigt zum Beispiel die Stadt Byblos, die in Eigeninitiative den anfallenden Müll drastisch reduziert hat.
Die Anwohner finden das gar nicht gut, aber wissen, dass sie normalerweise kein Gehör finden. Daher nutzen sie die heißeste Zeit des Jahres, um die Straße zur Deponie zu blockieren, um das Müllproblem auf die Spitze zu treiben. In der Tat gelingt es ihnen, damit landesweite Aufmerksamkeit für das Problem zu generieren. „Ein Jahr und ein paar Monate ohne Präsidenten macht dem Libanon gar nichts aus, aber zwei Tage ohne die Müllabfuhr stürzen das Land ins Chaos“, kommentiert Twitterer Ali Hashem trocken.
„Das ist der Moment … in dem man erkennt das diese Männner wichtiger sind als jene,“ betitelt ein anderer eine Gegenüberstellung von Fotos von Müllmännern und Politikern.
Die Libanesen sind hin- und hergerissen zwischen Verzweiflung und Humor. „Heute morgen haben sie den Müll unter der Salim-Salam-Brücke angezündet – sieben oder acht Container, um die auch der ganze Müll herumlag“, erzählt meine Kollegin, „die Feuerwehr war schon dabei zu löschen, aber der Asphalt auf der Brücke hat Blasen geworfen, weil es so heiß war.“ Ganz praktische Vorschläge, wie man selbst zur Linderung des Müllproblems beitragen kann, machen Karim Chehayeb und Sarah Shmaitilly auf ihrem Blog „Beirut Syndrom.“ Recycling steckt im Libanon noch in den Kinderschuhen, aber es gibt Stellen, an denen man Altglas, Altpapier oder Altmetall loswerden kann.
Das zerstrittene Kabinett hat es in seiner heutigen Sitzung nicht geschafft sich auf eine Lösung zu einigen und sich auf Dienstag nächster Woche vertagt. Noch mindestens weitere fünf Tage also stinkt die politische Krise des Libanons zum Himmel.