Ein Gastbeitrag von Inga Hofmann
„UN- Sicherheitsrat: Deutsche Helferin macht ihrem Ärger Luft“- so lautete die Überschrift eines Artikels der Tageschau. Dabei ging es in dem Artikel darum, dass die stellvertretende UN- Nothilfekoordinatorin Ursula Müller im UN- Sicherheitsrat gefordert hatte, Zivilist*innen in Idlib angesichts des zunehmenden Beschusses besser zu schützen.
Stattdessen wird die Nothilfekoordinatorin auf den anonymen Begriff „Helferin“ degradiert und aus einer politischen Forderung wird mal eben ein emotionaler Ausbruch gemacht. Getreu dem Klischee: Die emotionsgesteuerte Frau, die ihren Überzeugungen nicht anders Ausdruck verleihen kann als unkontrolliert vor Wut zu explodieren. Dagegen kommen sachliche Argumentationen und politische Forderungen natürlich nicht an. Ein Mann in dieser Position wäre in der Überschrift gewiss nicht herabgestuft und anonym zitiert worden – außerdem ist anzunehmen, dass es geheißen hätte: „prangert Vernachlässigung des Schutzes von Zivilist*innen an“ oder „verurteilt den fehlenden Schutz von Zivilist*innen“ – etwas Rationales.
Der Ton der Überschrift durchzieht den ganzen Text – das Motiv der gefühlsduseligen „Frau, die Nothilfe organisiert, aber vor lauter Not nicht mehr helfen kann“ – so wörtlich im Text – und sich in letzter Instanz an den Sicherheitsrat wendet – wenn auch „nicht mehr bittend, sondern anklagend“ (ebenfalls ein Zitat). Natürlich auch hier nicht auf verbaler Ebene, sondern mittels vorwurfsvoller Blick, die sie jedem „der 15 UN- Botschafter“ zuwirft.
Der Artikel der Tagesschau ist symptomatisch für ein tiefer liegendes Problem: Sobald Frauen die politische Bühne betreten, werden sie auf traditionelle Rollenbilder reduziert- ganz besonders im Zusammenhang mit dem Syrienkrieg: Immer wieder stehen Emotionen im Vordergrund und ihnen werden automatisch Charaktereigenschaften wie Fürsorglichkeit (hier wären wir wieder bei der deutschen Helferin) zugeschrieben. Es scheint unmöglich sie schlicht als politische Akteur*innen zu begreifen. Angela Merkel, in der Forbes-Liste 2018 als „mächtigste Frau der Welt“ gewürdigt, wird in Deutschland stets mit Diminutiven versehen: Von Helmut Kohls Bezeichnung als „Mädchen“ bis hin zur „Mutti“, über deren „Mutterrolle“ die ZEIT während der Flüchtlingskrise schrieb, dass aus der „strengen ‚Mutti‘ [später] ‚Mama Merkel‘“ geworden sei. Ist es so schwierig, die Politik der Bundeskanzlerin zu kritisieren, ohne ihr aufgrund ihres Geschlechts ein besonderes Maß an Fürsorglichkeit unterstellen zu müssen? Für die meisten Medien offenbar schon: So konzentriert sich der Focus in einem Artikel über Asma al-Assad lediglich auf ihre Position als „Frau an der Seite des syrischen Machthabers Assad“ und auf andere besonders irrelevante Aspekte wie ihre „modische Kurzhaarfrisur“ anstatt auf ihre Verantwortung im syrischen Bürgerkrieg einzugehen bzw. ihr Verhalten zu kritisieren. Generell scheint ihr Aussehen für viele Medien von deutlich größerer Relevanz zu sein als alles andere, denn auch die WELT sieht sie zuallererst als „Schönheit, die neben dem Schlächter schläft.“ Wenn man sie dafür kritisieren möchte, dass sie Bashar al-Assad bei der massiven Menschenrechtsverletzung in Syrien unterstützt, dann muss man ihr schon etwas mehr als nur die Rolle des schlafenden Dornröschens zutrauen. Besonders tiefschürfend analysierte übrigens der Cicero die Rolle Asma al- Assads, indem er uns über das „Seelenleben der schönen Asma al-Assad“ aufklärte und dabei „die schönen Rehaugen,“ welche nun nicht mehr „wahrmherzig“ sondern „abgrundtief böse“ aussähen, als zentrale Hinweise für eine grundsätzliche Persönlichkeitsveränderung während des Syrienkrieges deutete.
Doch auch Frauen in anderen Rollen werden durch die Wahl bestimmter Formulierungen oft abgewertet. Am deutlichsten wird dies bei der oft von Sensationslust geprägten Berichterstattungen über Frauen und den sogenannten „Islamischen Staat“. Geht es um diejenigen, die sich ihm angeschlossen haben, wird kaum thematisiert, dass sie eine eigene Motivation gehabt haben könnten – jenseits der Familie. So lautet im April die Titelüberschrift im Spiegel „Syrien: Geheime Rückholaktion für deutsche IS- Braut.“ In dem Artikel ging es um eine IS-Anhängerin aus Essen, die gemeinsam mit ihrer Familie in einer Geheimaktion nach Deutschland zurückgeholt wurde, nachdem sie sich in einem Lager in Syrien aufgehalten hatte. In dem Text wird sie entweder als „Braut“ oder als „Mutter“ bezeichnet und so immer nur in Bezug zu ihrem Ehemann bzw. ihren Kindern gesetzt. Diese Darstellung schreibt der Anhängerin eine sehr passive Rolle zu und ignoriert dabei völlig die Tatsache, dass sie sich auch aktiv dafür entschieden haben könnte, sich dem IS anzuschließen. Natürlich ist es leichter, es so dazustellen, als sei die Anhängerin als Braut ihres Ehemanns quasi dazu gezwungen worden, aber diese Darstellungsweise ist auch ebenso gefährlich. Denn wie soll Extremismus und Terror vorgebeugt werden, wenn ihre Hintergründe nicht tiefschürfend analysiert werden?
Auf ähnlich unreflektierte Weise verwenden Medien oft unhinterfragt den Begriff „Sexsklavin“. Der Focus beispielsweise berichtet 2014 im Zusammenhang damit, dass im Irak Jesidinnen verschleppt wurden, das ISIS-Propagandamagazin „Daqip“ habe erklärt, dass die „Versklavung von Jesiden“ rechtens sei. Leider distanzierte sich der Focus jedoch nicht von der Wortwahl dieses Magazins, sondern betitelte den Artikel selber mit „Jesidische Frauen in Sex- Hölle: Um nicht vergewaltigt zu werden: IS- Sklavinnen strangulieren sich gegenseitig.“ Ebenso unsensibel ist, dass dieser Artikel – wie viele andere auch – das Verbrechen der Vergewaltigung als „Sex“ bezeichnet. 2016 versuchte BILD, das frauenverachtende Ausmaß auf die plakative Headline „ISIS verkauft Sklavinnen über Whatsapp“ runterzubrechen, und auch die FAZ betitelt ein Video, in dem die Jesidin Jinan über ihre traumatischen Erlebnisse berichtet, mit „IS- Sexsklavin berichtet über die Gefangenschaft. “ Diese Wortwahl ist angesichts des Mutes, den Jinan aufgebracht hat, um in einem Buch über ihre Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt zu berichten und sich gegen ihre Vergewaltiger zu stellen, völlig unangemessen.
Natürlich lassen sich die Kontexte, aus denen die Artikel stammen nur sehr schwer miteinander vergleichen. Die Artikel selber haben jedoch alle gemeinsam, dass sie Frauen eine eigenständige Rolle absprechen: Diejenigen in Führungspositionen werden durch die Wortwahl oft herablassend verkleinert und auf Äußerlichkeiten und Emotionalität reduziert. Und diejenigen in andere Rollen werden ein zweites Mal zum Opfer gemacht, indem die Berichterstattung die Wortwahl der Täter übernimmt.
Inga Hofmann unterstützt das im Büro Beirut der Heinrich Böll Stiftung in diesem Sommer. Wenn sie nicht gerade die Wanderlust überkommt, studiert sie Politikwissenschaft in Berlin.