Bräunungsöl und koloniale Kontinuitäten

Savannah-Werbung Alle Rechte vorbehalten

Ein Gastbeitrag von Inga Hofmann

Da sich die brütende Hitze in Beirut außerhalb des kühlen Büros nur schwer ertragen lässt und der von Müll überflutete Strand am Rand der Stadt auch nicht unbedingt zu einer kleinen Abkühlung einlädt, nutzen meine Freund*innen und ich die Wochenenden meist, um in den Süden des Libanons an die sauberen Strände zu fahren. Auf dem Weg dorthin creme ich mich – zur Belustigung meiner libanesischen Freunde – normalerweise bereits im Auto mit meiner 50+ Sonnencreme ein. Der Rest der Gruppe dagegen reibt sich frühestens nach dem ersten Gang ins Wasser großzügig mit Sonnenöl oder auch Babyöl ein, um möglichst schnell möglichst braun zu werden.

Jedes Mal wetteifern sie sich dann im Gespräch darüber, wie man den perfekt bronzenen Teint erhalten könne. Manchmal schnappen umliegenden Tourist*innen diese Tips auf und setzen sie um – und am Ende des Tages den Strand nicht selten mit schmerzhaften Sonnenbränden zu verlassen.

Die Art und Weise, in der viele im Libanon nach möglichst schnell erworbener, möglichst tiefer Bräune, streben, bietet der Werbung ein unerschöpfliches Feld für sämtliche Produkte, die den Prozess beschleunigen und den Bräunungsgrad optimieren sollen. So stach mir auf dem Weg zum Strand letzte Woche eine riesige Werbeanzeige der Kosmetikmarke Savanah ins Auge: Mit dem Slogan „Go Black or Go Home“ versuchten sie ihr neuestes Bräunungsöl zu vermarkten und es schien sie dabei nicht zu stören, dass sie sich eines rassistischen Jargons bedienten.

Ein Freund von mir kontaktierte die Firma später über Twitter, doch diese wiesen jegliche Rassismus-Vorwürfe von sich und gaben sich stattdessen naiv. Als ich ihre Social Media Präsenz anschließend genauer betrachtete, wunderte mich das gar nicht mehr: Die Werbeanzeige war kein Einzelfall, sondern stand vielmehr exemplarisch für eine ganze Reihe, die von rassistischen Vorurteilen nur so strotzten – und etwas, das man im europäischen Kontext klar als koloniale Kontinuitäten beschreiben würde.  So benannte Savanah eine ihrer Bräunungscremes nicht nur „Antelope“ und setzte sie damit in einen direkten Bezug zu einem Tier, das klischeehafterweise in der afrikanischen Savanne zu finden ist, sondern fügte darüber hinaus auch noch das Bild eines weißen Farmers hinzu. Das Erscheinungsbild des Mannes lässt darauf schließen, dass dieser sich des Blackfacings bediente, was angesichts der Tatsache, dass es sich bei dem Produkt um Bräunungscreme handelt, besonders perfide ist.

Beim Blackfacing malen sich weiße Menschen das Gesicht oder den Körper an, um auf diese Weise People of Color zu diskriminieren. Ursprünglich stammt diese Praxis aus der Kolonialzeit, in der sich US-Amerikaner in den sogenannten Minstrel Shows mit dunkler Farbe bemalte, um People of Color zu demütigen und bereits vorhandene Stereotype zu verstärken.
Bis heute hat sich an dem Rassismus, dem diese Praxis zugrunde liegt, nichts geändert, denn immer noch geht darum, rassistische Muster der Vergangenheit zu reproduzieren und internalisierten Rassismus aufrechtzuerhalten. Das funktioniert natürlich am besten, indem man die Verbrechen des Kolonialismus und noch immer bestehende Ungleichheiten aufgrund von Ethnie und Klasse einfach ignoriert und stattdessen versucht, den kritischen Diskurs durch rassistische Internet-Memes einzudämmen.

Von einer ähnlichen Ignoranz gegenüber kolonialen Kontinuitäten zeugt der folgende Post der Kosmetikmarke auf Instagram, auf dem ein Mann zu sehen ist, der vor einem Hintergrund posiert, welcher an die romantisierte Darstellung der afrikanischen Steppe zu Zeiten des Kolonialismus erinnert. Der Mann bewirbt das „Black Tanning Oil“ und erneut fragt man sich: Kann es nicht einfach Tanning Oil heißen? Kann es offenbar nicht, denn betitelt ist das Bild darüber hinaus auch noch mit der Überschrift „My heart is in Lebanon, my soul is in Africa“ . Doch auf wen wird hier Bezug genommen? Wessen Herz ist im Libanon und wessen Seele in Afrika?

An dieser Stelle kann ich nur mutmaßen, aber es könnte sich um libanesische Migrant*innen in Westafrika handeln. Denn Ende des 19. Jahrhunderts emigrierten viele Libanesen und Libanesinnen aus ökonomischen Gründen in Gebiete Westafrikas, die heute Länder wie Senegal, Mali oder Cote d´ Ivoire bilden. Genau wie der Libanon standen diese Gebiete damals unter französischer Kolonialherrschaft, weshalb Frankreich die Migration der libanesischen Menschen aktiv unterstützte. Die meisten Menschen wollten ursprünglich in die USA auswandern doch aufgrund mangelnder finanzieller Mittel und falscher Versprechungen durch die französische Kolonialmacht, migrierten sie schließlich nach Westafrika. Im Laufe der Zeit etablierte sich auf diese Weise eine libanesische Community in der Region, die bis heute vor allem auf wirtschaftlicher Ebene sehr präsent ist. Die zweite Welle von Migrant*innen, die aus ökonomischen Gründen migrierte, erfolgte erst später während des Libanesischen Bürgerkrieges, sodass libanesische Menschen mittlerweile die größte nicht-afrikanische Minderheit in der Region bilden.

Kolonialismus und koloniale Kontinuitäten sollten also nicht nur als binäres Verhältnis zwischen Kolonialmächten und einheimischer Bevölkerung verstanden werden, sondern in all ihrer Komplexität analysiert werden. Dazu gehört auch, die Rolle weiterer Communities innerhalb Westafrikas zu hinterfragen. Darüber hinaus sollte analysiert werden, inwiefern die rassistische Hierarchisierung der Gesellschaft als Folge des Kolonialismus auch heute noch eine Rolle spielt. Wie gestaltet sich das Verhältnis zwischen Menschen aus westafrikanischen Ländern und Menschen mit libanesischem Hintergrund? Inwiefern dominiert ein gewisses „Überlegenheitsgefühl“ von Seiten der libanesischen Menschen und welche Konsequenzen hat das für People of Color, die im Libanon leben?

Nachdem Länder wie der Senegal ihre Unabhängigkeit deklariert hatten, verschwand zwar die französische Präsenz doch koloniale Kontinuitäten wurden bis heute aufrechterhalten – in allererster Linie natürlich von europäischen Ländern, die noch immer das größte Interesse daran hatten, ihre globale Hegemoniestellung zu wahren. Doch auch im Libanon lässt sich die rassistische Hierarchisierung der Gesellschaft spüren: Genau wie von den europäischen Mächten, wird immer noch zwischen europäischen und nicht- europäischen Menschen unterschieden und darüber hinaus werden nicht- europäische Menschen noch einmal in arabische bzw. nicht- arabische Menschen unterteilt. People of Color, die im Libanon leben, berichten immer wieder von Diskriminierungserfahrungen, die sich auf das nationale Rechtssystem und gesellschaftliche Faktoren zurückführen lassen. Haushaltskräfte aus Ländern wie Äthiopien bekommen keinerlei arbeitsrechtlichen Schutz gewährt und sprechen in Interviews von einer doppelten Form der Diskriminierung aufgrund ihres Geschlechts und ihrer Hautfarbe. Der fehlende rechtliche Schutz führt häufig zu Ausbeutung, Unterbezahlung und in den schlimmsten Fallen Gewaltdelikten. Darüber hinaus werden Menschen mit einem libanesischen Elternteil einerseits und einen afrikanischen Elternteil andererseits von der Gesellschaft ausgeschlossen: Betroffene schildern, wie sie auf überhebliche Weise von anderen Libanesen und Libanesinnen automatisch als Haushaltskraft bezeichnet wurden.
Genau mit diesem Thema setzten sich auch Nisreen Kaj und Marta Bogdanska in ihrer Ausstellung „Mixed Feelings“ auseinander und zeigten, wie die libanesische Gesellschaft die Zugehörigkeit zur Gesellschaft allein über die Hautfarbe einzelner Menschen definiere. Schon viel zu lang dominiere im Libanon das Verständnis einer homogenen Gesellschaft, das allein auf dem Ausschluss migrantischer Haushaltskräfte und „mixed Lebanese“ beruhe. Sehr treffend meinte Nisreen Kaj in einem Interview: „Die meisten sagen, sie hätten nie ein mixed- Lebanese gesehen, aber das stimmt nicht. Sie schließen nur automatisch darauf, dass wir nicht libanesisch sein können.“

Gegen dieses exklusive Konzept einer libanesischen Identität setzen sich NGOs wie Anti Racism Movement zur Wehr und versuchen Bewusstsein zu schaffen, indem sie Menschen aus Ländern wie Äthiopien unterstützen und vor Ausbeutung schützen. Doch solange die Mainstream-Werbung in der Öffentlichkeit die koloniale Vergangenheit romantisiert anstatt sie in ihrer eigentlichen Brutalität zu sehen, bleibt die rassistische Hierarchisierung der Gesellschaft wohl auch zukünftig erhalten.


Inga Hofmann
Inga Hofmann von Inga Hofmann Alle Rechte vorbehalten

Inga Hofmann unterstützt das im Büro Beirut der Heinrich Böll Stiftung in diesem Sommer. Wenn sie nicht gerade die Wanderlust überkommt, studiert sie Politikwissenschaft in Berlin.

 

 

 

 

 

 


Posted

in

Tags: