Nachdem gestern der Bericht zur Untersuchung der Todesursache Yassir Arafats veröffentlicht wurde, ist nach Ansicht der Gutachter zumindest wahrscheinlicher, dass Arafat 2004 tatsächlich mit Polonium umgebracht wurde. Wer hinter der Tat stand und wie sie ausgeführt wurde, bleibt dagegen unklar. Während das Thema heute weltweit in den Nachrichten war, spielte es hier vor Ort nicht so eine zentrale Rolle. Denn für die Palästinenser ist sowieso klar, wer dahinter steht – der damalige Regierungschef Ariel Sharon, Erzfeind Yassir Arafats.
Das ist zumindest mehr als eine abstruse anti-israelische Verschwörungstheorie, denn viele erinnern sich hier natürlich daran, dass der israelische Geheimdienst mehr als einmal palästinensische Führer ins Fadenkreuz genommen hat, zum Beispiel 1987 bei der Ermordung des PLO-Führers „Abu Jihad“ oder dem 1997 gescheiterten Attentat auf Hamas-Führer Khalid Masch’al. Und schließlich hatte Sharon sogar 2004 offiziell im Gespräch mit US-Präsident Bush die Garantie, dass er Arafat nicht antasten werde, aufgekündigt.
Bemerkenswert ist jetzt vielmehr, dass sich die PLO offiziell mit Schuldzuweisungen zurückhält – klug, denn Beweise gibt es nun mal keine. Eine internationale Untersuchung wird in Erwägung gezogen, aber auf eine Propagandaschlacht mit Israel will man sich nicht einlassen. Dass würde nur von Themen ablenken, die sowohl die Palästinenser bewegen als auch die derzeitigen Gespräche mit der israelischen Regierung schwer belasten: Zum Beispiel der ständige Ausbau von israelischen Siedlungen und die angekündigte Zerstörung von 15.000 Häusern in Ost-Jerusalem,
Während in den Medien zu den letztgenannten Themen wenig Informationsbedarf zu bestehen scheint – nichts scheint gestriger als die Meldungen aus dem nur noch in Anführungszeichen so zu nennenden „Friedensprozess“ und seinen wiederkehrenden Misserfolgen – stand heute mein Telefon nicht mehr still. Sechs Interviews, u.a. Deutschlandfunk, info Radio Berlin und Schweizer Rundfunk zum leidigen Thema: Wurde Arafat ermordet und wenn ja, von wem? Aber was international Schlagzeilen macht, ist noch lange nicht ausschlaggebend vor Ort. Quintessenz: Die Palästinenser haben wirklich andere Probleme als sich mit dem Schweizer Untersuchungbericht und den damit zsammenhängenden Spekulationen zu beschäftigen. Die Auflösung des Arafat-Krimis fällt aus.
(Nachtrag: Was die im Deutschlandfunk geäußerte Frage zu den Texten palästinensischer Geschichtsbücher über Yassir Arafat betrifft, werde ich die Antwort hier nachholen).