Ich weiß die Bemühungen der Schule durchaus zu schätzen, die SchülerInnen kreative Impulse bieten wollen. Nur sind nicht alle von ihnen sehr gut durchdacht. Obwohl mein Sohn in einer Schule ist, die sich „Vielfalt“ auf die Fahne geschrieben hat, findet diese in einem gesellschaftlichen Kontext statt, in dem vieles sehr einfach, anderes sehr vorurteilsbehaftet ist. Jedes Jahr gibt es zum Beispiel einen „Come as you like day“, einen Tag, an dem die SchülerInnen ihre Schuluniform temporär an den Nagel hängen und sich verkleiden durften.
Mein Sohn war begeistert: Elsa, die Heldin des Disney-Films „Die Eisprinzessin“, war so populär unter den Mädchen seiner Klasse, dass auch er davon träumte, einmal im glitzernden Kostüm erscheinen zu dürfen. Er lag mir lange damit in den Ohren, dass wir ein solches erwerben sollten, doch als ich ihn am Tag davor mit zum Einkaufen nehmen wollte, war er gar nicht mehr entzückt. Zu sehr hatten die LehrerInnen immer wieder nachgehakt, ob er nicht doch lieber Spiderman, Batman oder ein anderer männlicher Fantasy-Held sein wolle. „Wenn ich mich nicht so verkleiden darf, wie ich will, dann lieber gar nicht,“ vekündete er genkickt, und hielt das auch im nächsten Jahr durch. Da durften die Verkleideten vor allen anderen der Schule ans Mikrofon treten und sagen, welchen Charakter sie sich ausgesucht hätten. Er verkündete, er komme als „er selbst.“
Wenig später schickte die Schule eine Einladung, dass alle SchülerInnen an einem bestimmten Tag ihr Haustier mitbringen sollten. Zugegebenermaßen hatte ich die Träume meines Sohns von einer eigenen Katze oder einem Hund stets einen Riegel vorgeschoben, weil wir so viel reisen, dass es schwierig gewesen wäre, sich angemessen um diese zu kümmern. Als Ausgleich hatte ich ihm eine große Rundassel auf der Straße aufgelesen, die seither in einem Terrarium auf unserem Balkon lebte und um die er sich hinreißend kümmerte. „Weißt du, die anderen ekeln sich vor Insekten,“ meinte Laslo. „Als ich neulich einen Käfer auf dem Schulhof aufheben wollte, haben die aus meiner Klasse gekreischt und die Schulhofaufsicht hat die Sicherheitsleute gerufen, damit sie den Käfer entfernen. Sie dachten, er sei gefährlich! Wenn ich „Roly Poly“ migbringe, reagieren sie bestimmt ähnlich, und vielleicht wäre es gefährlich für Roly Poly.“ – „Und wie wäre es mit Pitzy?“ fragte ich, wohl wissend dass Pitzy, eine grüne Wanze aus den Bergen, ähnlich unbeliebt sein würde, aber immerhin deutlich niedlicher als die schwarze Assel erscheinen würde. „Pitzy ist letze Woche weggeflogen,“ erinnerte mich mein Sohn. „Und auch der kleine Gecko, der immer durch die Wohnung läuft, fände es in meiner Schule bestimmt nicht schön.“ Wir einigten uns darauf, dass das magere kleine Chamäleon, das wir mit kleinen Grashüpfern und Fliegen zu päppeln versuchten, dort gewiss auch nicht am richtigen Ort sei. Der kleine Bruder versuchte zu helfen: „Oh, eine tote Ratte. Wah meihnt du, iht die gut für Hauhtiertag?“ lispelte er auf der Straße. „Sie müssen lebendig sein, in einem Käfig oder Aquarium“, antwortete Laslo nüchtern.
Ich versuchte, ihn zu überzeugen, dass er stellvertretend vielleicht ein Kuscheltier mitbringen könne. Derweil entspann sich über die Whatsapp-Gruppe der Klasse eine erhitzte Debatte. Tierschutz spielte dabei weniger eine Rolle. Auch nicht, ob Hunde, Katzen und Vögel gleichzeitig in der Klasse eine gute Idee seien. Dafür aber Allergien: Es mögen bitte nur antiallergene Hunde und Katzen mitgebracht werden. Ich staunte, hatte ich bis dahin doch nicht einmal gewusst, dass es so etwas gibt.
Die Schule entschied sich letztlich, den Haustiertag abzusagen. Daraufhin flutete die nächste Welle enttäuschter Kommentare die Whatsapp-Gruppe: „Mein Kind hatte kein Haustier, jetzt haben wir ihr diesen teuren tropischen Fisch für den Haustiertag gekauft, und er wird einfach abgesagt?“ – „Wir auch – ein Kaninchen – und alles vergebens?“